Rezension

Unschuldig schuldig

Im Frühling sterben - Ralf Rothmann

Im Frühling sterben
von Ralf Rothmann

Bewertet mit 4.5 Sternen

Walter hat mit seinen 17 Jahren gerade seine Lehre als Melker beendet; er ist gut und so sauber, dass er den Spitznamen Ata erhalten hat. Sein engster Freund ist der gleichaltrige Fiete, der noch in der Lehre ist. Eigentlich interessieren die beiden sich vor allem dafür, wie sie bei den Mädchen landen können, doch die Politik holt sie ein: Es ist Februar 1945, und mit den anderen Männern werden sie zu einem der letzten Aufgebote in die Waffen-SS verpflichtet. Walter landet als Fahrer in der Versorgungseinheit, doch Fiete muss an die Front. Dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist, ist deutlich. Was nun: Desertieren und sich verstecken, in der Hoffnung, dass der Krieg nun bald vorbei ist, oder den Kopf einziehen und versuchen, alles zu überstehen, ohne das Risiko einzugehen, als Deserteur erschossen zu werden? Die beiden Freunde sind da verschiedener Meinung, und ihre unterschiedlichen Wege führen dazu, dass sie sich auf gegnerischen Seiten gegenüberstehen müssen...

Ralf Rothmann erzählt in der Rahmenhandlung von seinem Vater, der durch seine Kriegserlebnisse geprägt ist, aber nie von ihnen erzählt. Die Handlung in der Vergangenheit setzt dann unvermittelt ein und wird ebenso plötzlich abgebrochen und dann durch einen Epilog aus der Gegenwart abgerundet. Die Erzählung von den Kriegswochen ist überwältigend; als Leser gerät man mitten ins Geschehen. Und auch wenn von der Front kaum berichtet wird, ist das Grauen präsent. Wie kann man in einer solchen Lage Mensch bleiben?

Diese Schlüsselfrage wird von Rothmann sogar noch weiter interpretiert: Es gibt Auswirkungen, die an die nächsten Generationen weitergegeben werden. "Seelisch oder körperlich verwundet zu werden macht was mit den Nachkommen. Die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln, die dich treffen, verletzen auch deine ungeborenen Kinder, sozusagen. Und später, wie liebevoll behütet sie auch heranwachsen mögen, haben sie panische Angst davor, gekränkt, geschlagen oder erschossen zu werden. Jedenfalls im Unterbewusstsein, in den Träumen. Eigentlich logisch, oder?" Aber wenn das wirklich so ist: "...was ist mit dem, der schießen muss? Was vererbt der?" Es ist nicht nur das Opfer, das von seinen traumatischen Erfahrungen geprägt ist, auch der Täter ist gezeichnet. Und Täter wird jeder; unschuldig kann man nicht aus einer solchen Lebenssituation herauskommen. Da kann ich nur das Wort von der Gnade der späten Geburt wiederholen: Ich kann dankbar sein, dass ich solche Zeiten nicht erleben musste.

Ein bewegendes Buch, eindringlich und empathisch, das dem Leser viel abverlangt, aber auch viel mitgibt.

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 05. Juni 2017 um 18:24

Danke für die gute Rezension; ich notiere mir das Buch.