Rezension

Was vom Menschen übrig blieb

Bunker Diary - Kevin Brooks

Bunker Diary
von Kevin Brooks

Bewertet mit 5 Sternen

Die Grundidee ist schnell erzählt: Linus, ein sechzehnjähriger Obdachloser, wird von der Straße weg entführt und in einen Bunker gesperrt. Er weiß nicht warum, er weiß nicht, wo er ist, alles, was er weiß und sieht ist der Bunker, in dem sich sechs Zimmer, eine Küche, ein Bad befinden. Warum ausgerechnet sechs Zimmer, wird schnell klar. Mit Hilfe eines Aufzugs, der nur hoch und runter fährt, wenn sich niemand darin befindet, werden weitere Gefangene geliefert. Die neunjährige Jennifer und die Erwachsenen: Fred, der große, zottelige, starke Bauarbeiter mit Drogenerfahrung, Anja, Ende zwanzig, selbstsicher, selbstgerecht, egoistisch, gewohnt zu bekommen, was sie möchte, Bird, der fette, arrogante Anzugträger und Russel, der alte, schwarze, schwule Philosoph.
Keiner von ihnen hat eine Ahnung, aus welchem Grund er gefangen wurde. Auch dem Leser wird nie ein Grund genannt, es reicht, dass wir aus Linus' Perspektive miterleben, wie die sechs da unten miteinander klarkommen. Und das ist bei so verschiedenen Leuten alles andere als einfach. Anja und Bird halten sich für etwas Besseres und kooperieren nur selten, Fred kämpft mit Entzug und seinem Temperament, Russel ist todsterbenskrank. Die kleine Jenny - so hat man den Eindruck -, erträgt alles noch am leichtesten. Auch Linus arrangiert sich irgendwie. Die anderen benehmen sich typisch erwachsen. Schimpfen, jammern, beklagen sich, gehen aufeinander los. Dass ihr Entführer sie auch noch auf Schritt und Tritt beobachten kann, macht alles schlimmer. Wenn sie Fluchtpläne schmieden, werden sie hart bestraft: mit Kälte, mit Wärme, Essensentzug, unerträglichen Lärm. Sie müssen um alles schriftlich betteln, ob sie es von dem Unbekannten bekommen, ist eine andere Sache. Schließlich treibt der Unbekannte sein Spiel auf die Spitze: Er behauptet, wer einen anderen umbringt, kommt frei ...

Mein lieber Schwan! Eigentlich ist das Buch ein Kammerspiel - erst mit einer, dann mit zwei, drei, vier, fünf weiteren Personen. Man möchte meinen, dass es dort nicht viel gibt, das Spannung erzeugt, doch das Gegenteil ist der Fall. Dadurch, dass sich alles auf einem Fleck und auf eine Gruppe Menschen konzentriert, wird alles intensiver. Geradezu schmerzlich schält Brooks die Menschlichkeit von den Rippen der Eingesperrten, zelebriert den Verlust von Würde, Stolz und Anmut geradezu grausam in klinischer Betrachtung. Er nimmt uns mit auf einen Seelentrip, erschüttert unsere Grundwerte, rüttelt an unseren Gittern des menschlichen Verstandes. Und nicht einmal hatte ich das Gefühl, dass er übertreibt, dass so etwas nicht möglich wäre, dass sich Unlogik einschliche. Nicht einmal - und genau das ist das Gruselige daran. Dass es nicht viel braucht, um uns unsere Überzeugungen und Werte zu nehmen, uns auf bloße Instinkte zu reduzieren und dass unglaublich viel Kraft, Disziplin und Humanität dazugehören, um sich in den schlimmsten aller Verhältnisse nicht gänzlich allen Mitgefühls zu entblößen. Man kommt nicht umhin, an ähnliche menschenverachtende Experimente der Nazis zu denken oder auch an Sozialstudien in der Art des Milgram-Experimentes oder des Stanford-Prison-Experiments.

Fazit: Erschütternd, zu Tränen rührend, ohne einmal ins Klischee abzurutschen und mit einem erschreckend authentischen Ende.