Rezension

Wenn die Welt in Scherben liegt...

Scherbenmädchen - Liz Coley

Scherbenmädchen
von Liz Coley

Bewertet mit 4 Sternen

Das Cover
Das Cover ist in einem kräftigen Rot gehalten. Mittig sieht man ein Mädchen, das umgeben von splitterndem Glas ist. Das Scherbenmädchen. Thematisch finde ich das Cover super gut zugeordnet, denn in diesem Buch geht es um ein Mädchen, dessen Persönlichkeit in Scherben liegt. Sie hat eine dissoziative Identitätsstörung entwickelt - leidet unter multiplen Persönlichkeiten - ihre Scherben. Einzig die Haarfarbe des Mädchens auf dem Cover ist nicht passend, denn unsere Angie ist eigentlich blond.

Die Story
Dieses Buch behandelt eine seltene Identitätsstörung: die multiple Persönlichkeitsstörung, wie man sie auch aus dem Sprachgebrauch kennt. Durch negative, zumeist gewaltsame Erfahrungen oder sexuellen Missbrauch in der Kindheit spalten sich eigenständige Persönlichkeiten in einem Individuum ab, die es zum Ziel haben, die Hauptpersönlichkeit zu schützen. Sie übernehmen dabei die Kontrolle in Gefahrensituationen.
In "Scherbenmädchen" lernen wir Angie kennen, die mit 13 aus einem Pfadfinderlager entführt wurde und erst 3 Jahre später, ohne jegliche Erinnerung an die vergangenen drei Jahre, wieder in ihrem Heimatort auftaucht. Nach und nach lernt der Leser Angies Persönlichkeiten kennen und taucht mit ihr mithilfe einer Psychologin in die Vergangenheit ein, an die sie sich lieber nie wieder erinnert hätte.
Vor vielen Jahren schon bin ich durch eine Fernseh-Dokumentation auf diese psychische Störung aufmerksam geworden und schon damals hat mich dieses Thema zutiefst erschüttert. Diese Krankheit ist für mich faszinierend und beängstigend zugleich, sodass es für mich sofort klar war, dass ich "Scherbenmädchen" lesen musste.

Die Charaktere
Dieses Mal lernen wir ungewöhnlichere Charaktere als in den üblichen Romanen kennen, denn neben Angie gibt es noch ihre Teilpersönlichkeiten, die, alle für sich, automatisch auch Hauptcharaktere sind, weil sie zu Angie gehören.
Angie ist 16 und für sie existieren die vergangenen 3 Jahre nicht. Sie wurde entführt und erinnert sich an keine Einzelheit mehr. Sie fühlt sich als wäre sie noch 13 und hat zu Anfang enorme Probleme, sich wieder in den Alltag einzufinden. Auch ihre Eltern sind ihr nicht gerade eine Hilfe. Mittels der Psychologin Dr. Grant entdeckt sie, dass sie Teilpersönlichkeiten in sich trägt. Nun muss sich Angie ihnen stellen und somit auch Schritt für Schritt ihrer Vergangenheit näher kommen. Doch das, was sie in den letzten 3 Jahren erlebt hat, wäre lieber in ihr verborgen geblieben.
Von den anderen Persönlichkeiten möchte ich nicht zu viel verraten (auch nicht, wie viele es sind - und ja, es ist mehr als eine), um nicht zu spoilern und potentiellen Lesern die Spannung zu nehmen.

Der Schreibstil
Frau Coley teilt das Buch in 3 Abschnitte ein: DU, WIR und ICH. Diese Strukturierung finde ich sehr passend und intelligent gelöst, denn als Leser findet sich in eben jenen Abschnitten genau die thematische Zuordnung wieder, die man mit den Überschriften erwartet. In den ersten beiden Sektionen werden Angie und die Geschehnisse in der 3. Person beschrieben. Erst im letzten Abschnitt "ICH" wechselt die Autorin mit Angie zur Ich-Perspektive. Das finde ich sehr gelungen und auch logisch.
Der Schreibstil ist flüssig und die Geschichte ist vereinzelt gespickt mit Briefen oder Aufzeichnungen von Angies Teilpersönlichkeiten, die sich in Schreibschrift oder kursiv vom restlichen Text abgrenzen. Ein effektives Stilmittel.

Das Ende
Knapp vor Ende gibt es noch eine Auflösung, deren Ausgang ist bereits vermutet hatte. Insgeheim hatte ich aber gehofft, dass meine Vermutung nicht stimmt, denn diese Entwicklung war für mich in der gesamten Geschichte etwas zu weit hergeholt bzw. stellte für mich einen zu großen Zufall dar. Die Autorin hätte diesen Aspekt lieber auslassen sollen, denn als Leser kam ich mir dadurch nicht ernst genommen vor. Leider für mich ein Punktabzug. Ich kann bedauerlicherweise nicht genauer auf die Einzelheiten eingehen, da ich sonst zu viel verraten würde. :)

Fazit
Ein hochinteressantes Thema, dass mit wirksamen Stilelementen und erschreckenden Wendungen in eine tragische Geschichte gepackt wurde.