Rezension

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Wie konnte es nur so weit kommen?

Bis ich 21 war - Ela Angerer

Bis ich 21 war
von Ela Angerer

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Eine Mutter, die lieber am anderen Ende der Welt mit Omar Sharif Bridge spielt. Ein Vater, der seine Tochter zu hässlich findet, um sich mit ihr auf der Straße zu zeigen.
Das ist die Situation der Ich-Erzählerin und die verschärft sich noch, als die Mutter den Vater für einen französischen Multimillionär verlässt. Die Eltern sind meist abwesend, das Personal hilflos.
Mit dreizehn beginnt das Mädchen eine Affäre mit einer jungen Krankenschwester und nimmt alles an Drogen, was zu bekommen ist. Das fällt irgendwann sogar den Eltern auf - die Tochter wird ins Internat gesteckt und lernt dort, dass es das Böse wirklich gibt.

Bei diesem Buch wurde angekündigt, dass der Schreibstil schonungslos und offen sei, was auch genau der Fall ist. Aber gerade diese Nüchternheit hat mir an diesem Buch so sonderlich gut gefallen.
Die Protagonistin bemitleidet sich niemals selbst, sondern überschreitet stattdessen viel lieber Grenzen, um sich lebendig zu fühlen.
Gerade ihre Anonymität, ihrer und viele andere Namen werden während der gesamten Zeit nie genannt, hat mir sehr gut gefallen, weil so trotz des engen persönlichen Bezuges eine gewisse Distanz vorhanden war.

Das Mädchen erlebt den Albtraum auf Erden: sie ist allein und wird vernachlässigt. Die vielen Geschenke, die sie bekommt, wünscht sie sich nicht. Sie dienen eher den Eltern, damit sie sich mit dem Kind überhaupt einmal zeigen können, weil es so zumindest gut angezogen ist.
Dass die Muter nicht viel von ihrer Tochter hält, bekommt diese schon früh vermittelt. So wird ihr schon im Kindergarten-Alter eingetrichtert, dass sie später gefälligst eine Nasenkorrektur durchführen müsse, damit sie noch annehmbar wäre.

Diese mangelnde Liebe und Zuneigung wirken sich schwer auf das Leben des Mädchens aus. Früh flüchtet es sich in Drogen und fängt an, immer härtere und damit auch schädlichere Sachen zu nehmen. Über mögliche Gefahren macht sie sich keine Gedanken.
Auch ihre Sexualität gerät außer Rand und Band - es scheint fast so, als wäre es ihr einziges Ventil, um mit Menschen umgehen zu können, denn für sie ist selbst in jüngsten Jahren Sexualität schon mehr als nur selbstverständlich.

Der Leser befindet sich in einem Wechselbad der Gefühle aufgrund der vielen Schicksalsschläge, die die Protagonistin durchleben muss. Man leidet mit ihr, auch wenn man doch zugleich nicht so wirklich etwas mit ihr gemein hat. Denn sie selbst sieht sich selbst auch als "böse" an und möchte andere Menschen vor sich bewahren, weshalb es ihr auch schwer fällt, dauerhafte Beziehungen aufzubauen.
Doch gerade weil diese Protagonistin so komplett anders ist, fängt man an über das Leben und seine Bedeutung nachzudenken.
Mir selbst hat es eine Menge gegeben und zugleich hat mich ihr Leben fasziniert, auch wenn es noch so schrecklich sein mag.

Das Einzige, was mich an diesem Buch gestört hat, ist die Tatsache, dass es ein offenes Ende gibt.
In gewisser Weise gefällt es mir, dass manche Fragen offen bleiben, aber wenn man das Buch dann beendet hat, stellt sich dennoch ein Gefühl der Leere ein. Denn zuvor wusste man immer haargenau, wie es der Protagonistin geht, warum sie so handelt und so weiter.
Aber gerade zum Schluss wird ihre eigene Unentschlossenheit in Bezug auf ihre "große" Zukunft für den Leser zur Qual, weil er alleine zurückgelassen wird. Man fühlt sich, wie bestellt und nicht abgeholt.

Aber vielleicht ist auch gerade dies das Ziel des Buches: man soll die Hoffnung spüren, etwas zu bekommen und wird am Ende dann doch bitter enttäuscht.
Bei dem Leser ist diese Hoffnung die Antwort auf alle Fragen.
Bei der Protagonistin ist es die Hoffnung auf Liebe und Zuneigung.
Letztlich stehen beide alleine verlassen da. Jeder hat ein anderes Bündel von Problemen zu tragen.
Leider hinterlässt das Buch deswegen einen leicht bitteren Nachgeschmack, auch wenn mir das Lesen selbst sehr viel Spaß gemacht hat...