Rezension

Zwei Frauen

Die Hoffnung der Chani Kaufman -

Die Hoffnung der Chani Kaufman
von Eve Harris

Bewertet mit 5 Sternen

          
„Chani spürte die feste Wölbung von Shulamis vorstehendem Bauch an ihrem eigenen Unterleib und schluckte einen Kloß hinunter.“

Mit „Die Hochzeit der Chani Kaufmann“ konnte Eve Harris einen Überraschungserfolg landen, mit „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ hat sie nun den Folgeband vorgelegt.
Ich interessiere mich für verschiedene Lebensformen, da in der säkularen Welt eigentlich „anything goes“ gilt – außer für konservative Lebensentwürfe? 
Meine Rezension ist formal ein Vergleich. Im ersten Teil der Rezension gehe ich daher auf ein anderes Buch ein, um dann im zweiten Teil „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ zu analysieren. 

Zum Thema „Orthodoxes Judentum“ habe ich zuletzt „Shmutz“ von Felicia Berliner gelesen. Ich bin keine Jüdin, aber ich habe mich über die Geschichte geärgert, da es nur vordergründig um die Emanzipation einer orthodoxen Jüdin geht:
Raizl ist eine junge Frau, die in Brooklyn lebt. Ihre Familie gehört zum orthodoxen Judentum, da sie einer chassidischen Sekte angehört, die eine strenge Glaubensauslegung praktiziert; verheiratete Frauen tragen Perücken, die Männer natürlich Bärte, Jarmulke und Hut. Raizl arbeitet und geht auf’s College, während sich ihre Brüder (auch durch die finanzielle Unterstützung ihrer Schwester) in Vollzeit der Thora widmen können. Für das Studium der Buchhaltung und des Rechnungswesens macht ihr Vater eine Ausnahme, da er seiner Tochter mit Stipendium erlaubt, einen internetfähigen Computer zu besitzen. Leider wird Raizl süchtig nach Internetpornographie. Im Internet gibt es Frauen aller Formen und Farben, und die Studentin fühlt sich in gewisser Weise verstanden. Auch kann sie ihre verbotene Lust ausleben. Doch sie soll auch heiraten. Unstrittig ist, dass die Geschichte durchweg eine Kritik am Patriarchat transportiert. Große Teile des Romans scheinen aber darauf ausgelegt zu sein, säkulare Lebensentwürfe zu glorifizieren und konservative (bzw. religiöse) Lebensformen zu verdammen.

Auch Eve Harris‘ Roman „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ transportiert im Kern eine Kritik am Patriarchat. Anders als in Berliners Erzählung wird in Harris’ Roman tatsächlich die Geschichte von Emanzipation erzählt. Es geht darum, seinen Platz in der Welt zu finden, ohne notwendigerweise alle Brücken hinter sich abzubrechen.  Ich mochte die differenzierte, empathische und kluge Herangehensweise der Autorin sehr gerne, auch gelingt es ihr, eine gelungene Fortsetzung zu präsentieren – es geht um zwei Frauen und um ihre Position im orthodoxen Judentum. Frausein zwischen Tradition und Moderne? 
Ein auktorialer Erzähler führt durch das Geschehen, es gibt alternierende Perspektiven, was die Geschichte auch rein formal lesenswert macht. 
Schauplatz Jerusalem: Chani Kaufmann ist es gelungen, den Mann ihrer Träume zu heiraten, was in ihrer streng orthodoxen Glaubensgemeinschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Seit einem Jahr ist sie mit Baruch happy, nur der Kinderwunsch will sich nicht erfüllen, daher entschließt sich das Paar, nicht nur in Israel sein Glück zu versuchen. Eine Kinderwunschklinik in London soll zum Erfolg führen. Eine „richtige“ Frau muss im orthodoxen Judentum Nachkommen gebären, da der Mann sich sonst problemlos trennen kann (und darf). 
Rivka Zilberman hingegen bricht aus dem Korsett der Orthodoxie aus – und das als Frau eines Rabbis! Sie möchte in London ein säkulares Leben führen, „opfert“ dafür ihre Kinder. Im Roman gibt es noch andere Protagonisten, mich hat aber der struggle der Frauen am meisten bewegt. Der Einsatz von jidddischen und hebräischen Einsprengseln in der „Hoffnung der Chani Kaufman“ ist gelungen, über das Glossar habe ich mich sehr gefreut (Bei Berliner wirkt der Einsatz von jiddischer Terminologie zu gewollt). 
Meines Erachtens kann man den Roman auch ohne Kenntnis des „Vorgängers“ („Die Hochzeit der Chani Kaufman“) lesen - dieser Folgeband kann auf ganzer Linie überzeugen.