Rezension

zwei Geschichten in einem Buch - mit einem Hauch Paranormalem

Vergiss mein nicht! - Kasie West

Vergiss mein nicht!
von Kasie West

Zitat:
„Ich kuschelte mich tiefer ins Kissen und versuchte mich zu entspannen. Gar nicht so einfach, wenn einem klar ist, dass man gleich mit Erinnerungen an ein Leben überflutet wird, das man noch nicht gelebt hat. Genau genommen zwei Leben, die man noch nicht gelebt hat.“
(S. 23)

Inhalt:
Addie lebt im Sektor, einer von der Außenwelt verborgenen Stadt voller „Talentierter“. Die Paranormalen im Sektor haben allesamt besondere (mentale) Fähigkeiten, weil sie 100% ihrer Gehirnkapazität ausnutzen – im Gegensatz zu den „Normalen“ außerhalb.

Addies besonderes Talent ist es, die Zukunft auszuloten, vor wichtigen Entscheidungen alle Alternativen zu durchleben, ehe sie sich für einen Weg entscheidet.
Als ihre Eltern sich trennen, steht sie vor einer solchen Entscheidung und erkundet die möglichen Zukunftsversionen aus. 
Variante „Para“: Sie bleibt bei ihrer Mutter im Sektor
Variante „Norm“: Sie zieht mit ihrem Vater außerhalb des Sektors.

Auf beiden Lebenswegen begegnet sie besonderen Jungen, auf beiden Wegen geschehen aber auch Dinge, die sie nicht beeinflussen kann…

Meinung:
Da der Titel der deutschen Ausgabe doch etwas irritierend und für mich nicht neugierig-machend genug war, bin ich erst durch die englische Ausgabe „Pivot Point“ über den Inhalt gestolpert und war sofort neugierig.

Im ersten Moment war ich völlig verwirrt, so mittenrein in die Geschichte wurde ich von der Autorin geworfen. Ich wurde mit Fähigkeiten nahezu überrumpelt, von Lügendetektoren und Alternativen ausloten war die Rede, von Überzeugungskraft und Erinnerungen löschen.

Erst als der Protagonistin Addie dann offenbart wird, dass ihre Eltern sich trennen werden, kam langsam Licht ins Dunkel. Im Sektor, wo Addie mit ihrer Familie wohnt, haben alle Bewohner besondere Fähigkeiten, weil sie nahezu ihr ganzes Potential verwenden, während die normalen Menschen nur knapp 10% ihres Gehirns gebrauchen.

Addies Fähigkeit bietet unglaubliches Potential für die Geschichte. Sie kann die verschiedenen Zukunftsalternativen abwägen, besitzt dann die Erinnerungen an beide Folgen ihrer zukünftigen Entscheidung. Somit erlebt der Leser dieselbe Zeit in unterschiedlichen Versionen gemeinsam mit der Ich-erzählenden Protagonistin.

Daher gibt es auch zwei Versionen von Addie. Die Version, die mit ihrem Dad aus dem Sektor heraus in die Welt der Normalen gezogen ist. Die Addie, die nicht mehr weiß, wer sie ist, weil ihr bisheriges Leben von ihrer Gabe geprägt war, von der sie nun niemandem erzählen darf. Sie ist allein, ohne Freunde, kennt nur ihren Vater und kommt mit der primitiven Technik der Außenwelt nicht zurecht. Gleichermaßen ist sie fasziniert von der einfachen Welt ohne Kontrolle. Und dann ist da noch Trevor…

Die „zweite Addie“ bleibt bei ihrer Mutter innerhalb des Sektors, hat ihre Freundin Laila und den Schulschwarm Duke, der aus irgendeinem Grund einen Narren an ihr gefressen hat. Aber sie ist traurig wegen der Scheidung und zweifelt. Deshalb will sie die „Scheidungskind-Karte“ ziehen und rebellieren. Doch irgendwie läuft das Ganze etwas anders als geplant, als Duke sich als „Junge mit schlechtem Einfluss“ anbietet.

Immer wieder überschneiden sich die beiden Versionen, denn es gibt Konstanten, die von Addies Entscheidungen nicht tangiert werden – wie beispielsweise der „Fall“, an dem Addies Vater im Auftrag des Sektors sitzt, der aber auch Addies Leben bei ihrer Mutter innerhalb des Sektors beeinflusst.

Leider waren die paranormalen Faktoren sehr in den Hintergrund gerückt, als die zwei Versionen begannen. In „Alternative Papa“ waren solche Dinge natürlich verboten, in „Variante Mama“ lediglich schmückendes Beiwerk, da es zur Normalität im Sektor gehört. Nichtsdestotrotz konnten mich auch die kleinen Einblicke immer wieder erfreuen.

Auch die beiden Liebesgeschichten hätten unterschiedlicher nicht ablaufen können und ich hatte mich schnell für einen Favoriten entschieden – dass es die richtige Entscheidung war, erkannte ich erst hinterher.

Um es dem Leser einfacher zu machen, die jeweilige Realität schnell zu erkennen, fügte die Autorin Kapitelunterschriften ein. Wortdefinitionen wie aus dem Wörterbuch, die entweder – besonders hervorgehoben – den Wortteil „NORM“ oder „PARA“ enthielten.

Der Schreibstil von Kasie West ist einfach und direkt, sie kommt ohne große Ablenkung zur Sache. Die Beschreibungen waren ausreichend und ließen Raum für die eigene Fantasie, viele – teils humorvolle – Dialoge runden das jugendliche Gesamtbild ab. 

Nachdem ich vom schnellen Einstieg beinahe überrumpelt wurde, reduzierten sich Tempo und Geschehnisse im Mittelteil des Buches etwas. Wie bereits erwähnt, fand wenig „Paranormales“ statt und der Fokus lag mehr auf den Beziehungen/dem Beziehungsaufbau zu dem jeweiligen Love-Interest. Erst als die Zusammenhänge der beiden Varianten erkennbar wurden, wuchs meine Neugier stetig und die Geschwindigkeit der Story nahm zu, ehe sie in einer Explosion von Ereignissen endete. Leider war dieses Ende sehr schnell und ich hatte kaum Zeit, meine Gefühle zu sortieren, sodass mir leider kein emotionaler Moment gegönnt war. Nun kann ich wieder einmal nur nach der Fortsetzung schreien!

Urteil:
Mit ihrer Idee zu „Vergiss mein nicht“ und dem so andersartigen Aufbau der Geschichte konnte mich Kasie West absolut begeistern. Die Umsetzung war jedoch etwas weniger „paranormal“ als gehofft, was aber dem Lesespaß kaum einen Abbruch tut. Wer sich wie ich sehr wenig in „normalen, unfantastischen“ Jugendbüchern aufhält, der wird auch am Mittelteil der Geschichte Gefallen finden. Das Ende kam etwas zu plötzlich und lässt mich verzweifelt auf eine baldige Fortsetzung hoffen. In Summe 4 Bücher für die zwei Varianten von Addies Leben.

Ein Muss für Fans „anderer“ Storys, denen es nicht zu fantastisch und paranormal sein muss, um sich begeistern zu können. Lasst euch vom Alternativen-Ausloten mitreißen und lest zwei Geschichten in einem Buch.

Die Serie:
1. Vergiss mein nicht
2. Originaltitel: Split Second (Pivot Point #2)
(Erscheinungstermin: Februar 2014)

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