Rezension

Zwei in eins

Kindes Kind - Barbara Vine

Kindes Kind
von Barbara Vine

Bewertet mit 2 Sternen

Als das Geschwisterpaar Grace und Andrew das Stadthaus ihrer Großmutter erbt, ziehen die beiden kurzerhand zusammen, um sich teure Londoner Mieten zu sparen. Doch als Andrews Lover einzieht, gerät alles durcheinander. Um den Hausfrieden zu wahren, flüchtet Grace in die Welt der Literatur – und stößt dabei auf ein eigenartiges Geschwisterpaar. Fasziniert liest sie ein Manuskript, das noch in den fünfziger Jahren niemand zu publizieren wagte. Ein Schwuler gibt sich als Ehemann seiner Schwester aus, die mit fünfzehn ein Kind erwartet. Tabus, Schande und Verrat: ›Kindes Kind‹ ist Sittenbild und Psychothriller zugleich. (von der Diogenes-Verlagsseite)

Jahrzehntelang war Barbara Vine, respektive Ruth Rendell, die Garantin für Krimis von hoher Qualität. Vielseitig und emsig wie wenige andere schrieb sie unter ihrem richtigen Namen ihre typisch englische Kleinstadt-Krimiserie mit Wexford und Burden ebenso wie Einzelbände und Erzählungen und verfasste unter ihrem Pseudonym fesselnde und facettenreiche Psychothriller.
Schade, dass ausgerechnet der Endpunkt ihres Schaffens ihr literarischer Tiefpunkt ist.

Die Zutaten für eine spannende Geschichte trägt sie zusammen, stattet die Figuren wie immer mit Ecken, Kanten und Macken aus (wenn auch schon nicht mehr so prägnant wie in früheren Büchern) und steckt sie in Situationen, die sich zuspitzen und in denen sie auf ihren Untergang zurasen könnten.
Ein Leser, der Vine / Rendell kennt, hält manchmal schon den Atem an, denn jetzt … jetzt … jetzt … kommt die Geschichte in Gang, ... jetzt kommt die Szene, die die Spannung antreibt, ... jetzt geht’s in Richtung Abgrund … und atmet enttäuscht wieder aus: Spannung verpufft.
Die Szenerie wirkt halbherzig, wie begonnen und nicht zu Ende geführt. Leider in beiden Geschichten, die die Autorin erzählt, in der Rahmen- und in der Haupthandlung.

Es könnte reizvoll sein, die eine als thematische und motivische Spiegelung der anderen zu lesen, doch die Gleichheit und die Überschneidungen beider wirkt hier eher plump und kopiert: Der homosexuelle Bruder sowie die ungewollte und uneheliche Schwangerschaft, wobei die „uneheliche Schwangerschaft in der Literatur“ Thema von Graces Doktorarbeit ist; das Motiv taucht demnach dreifach auf.
Zu dick aufgetragen scheint die Botschaft durch, um wie viel sich die gesellschaftlichen Bedingungen für die früher Ausgestoßenen und Randgruppen verbessert haben.
Der Mord in der Haupthandlung wird nebenher aufgeklärt, der Angriff auf eine Figur der Rahmengeschichte endet vorhersehbar und wie hineingequetscht, um am Ende Spannung hoch zu puschen; der merkwürdige Bruch im Charakter der Protagonistin der Haupthandlung wird in einem kommentierenden Satz begründet. Vine beschreibt und kommentiert in diesem Buch zuviel statt ihr früheres Können auszuspielen und Personen handeln und sprechen zu lassen.

Atmosphärisch ähnelt das Buch im Buch den „Herrenhaus-Krimis“, in denen alte Geheimnisse aufgedeckt und in der Gegenwart gelüftet werden. Doch das Geheimnis ist von Anfang an bekannt, ebenso Mord und Täter – das Motiv bleibt absurd und dem Leser verborgen, denn welcher Erpresser ist so dumm, sein Opfer umzubringen?

Das gesamte Konstrukt des Buches wackelt. Das kennt man von Rendell / Vine so nicht.
Wer auf richtig gute, spannende und erstklassig aufgebaute Krims der Autorin neugierig ist, sollte zu ihren Büchern aus den 1970er und 1980er Jahren greifen. 

Kommentare

katzenminze kommentierte am 01. Juli 2019 um 19:49

Hast du schon andere Romane von Barbara Vine - also unter ihrem Pseudonym - gelesen? Ich finde da darf man absolut keinen Krimi erwarten sondern einfach einen (Familien-)Roman. Dann sind ihre Bücher sehr gut. (Für meinen Geschmack natürlich ;) ) Wollte ich eine Krimi, würde ich nie zu Vine greifen. Ist mir ein Rätsel, warum sie unter Krimi/Thriller eingeortnet sind... :/