Rezension

Jüdischer Fluchtreflex

Sobald wir angekommen sind -

Sobald wir angekommen sind
von Micha Lewinsky

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Der Autor hat gute Anlagen - wenn er weiter schreibt, werden wir wieder gute jüdische Satire bekommen.

Micha Lewinsky hat jüdische Wurzeln, nur deshalb kann er es sich erlauben, sich über das Jüdischsein lustig zu machen. Sein Antiheld nennt sich Ben Oppenheim und ist ein hypochondrischer, selbstbezogener, verschlampeter Hallodri, der sich quasi über alles selbst belügt, sich also, trotz krasser Gegenbeweise, für einen tollen Hecht hält. Quasi stündlich ändert er seine Meinung und strapaziert damit seine Umwelt und die Leserschaft. In seinem Leben bekommt er rein gar nichts auf die Kette, das muss er auch nicht, da begüterte Eltern als Sicherheitsnetz fungieren.
„Sobald wir angekommen sind“ rangiert unter tpyischem jüdischen Humor, alldiweil auch diverse jüdische Witze erzählt werden. Jüdischer Witz geht immer haarscharf am gerade noch Erträglichen vorbei und manchmal über das Sagbare hinaus.
Der überspannte Ben, der seine Ehe in den Sand gesetzt hat, schiebt es auf den generationenlang erlernten und vererbten Fluchtreflex, als er Hals über Kopf wegs ein paar schlechter Schlagzeilen in den News in heller Panik Zürich verlässt und quasi „als Flüchtling“ nach Brasilien fliegt, innert einer Stunde oder so sind sie alle weg. Ex-Frau, Kinder, er. Zurück bleibt eine Geliebte und ihr vierjähriger Sohn, der sehr gern „und dann bist du tot“ mit ihm spielte. Selber schuld, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen und in Zürich bleiben. Aber als seine Freundin Julia mit dem Kind nachkommen will, blockt er ab. Als sie den Wunsch, ihm nachzureisen, dann zu früh aufgibt, ist er beleidigt. Sie schätzt ihn also nicht genug, um um ihn zu kämpfen. 

Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Ich mag Antihelden. Aber tumbe Toren mag ich nicht. Ich mag Kishon als gewitzten Satiriker und mag, wohl dosiert, Charles Lewinsky als großen Erzähler Mag ich auch Micha Lewinsky als Autor?
„Sobald wir angekommen sind“ knüpft eher an Kishons Satire an als an Vater Lewinskys Erzählungen. Ich mag Micha Lewinskys Buch ein bisschen. Zu laut auf die Kacke gehauen für meinen Geschmack. Ben hat mich zuerst amüsiert, dann nur noch genervt. Hypersensibel, wenn es um ihn selber geht, unsensibel, wenn es um die Bedürfnisse anderer geht. Es gibt freilich solche Menschen. Man mache einen Bogen um sie!

Fazit: Amüsiert und genervt. Am Schluss fehlt noch etwas Pfiff und Pfeffer. 

Kategorie: Satire
Verlag: Diogenes, 2024