Rezension

Philip Marlowe meets Frankenstein

Bis in alle Endlichkeit -

Bis in alle Endlichkeit
von James Kestrel

Bewertet mit 5 Sternen

Nach dem sensationellen „Fünf Winter“ legt James Kestrel einen weiteren Noir mit klassischem Hardboiled Detective vor. Der Roman spielt in Kalifornien, zumeist in der San Francisco Bay Area. Leland „Lee“ Crowe wurde seine Anwaltszulassung entzogen; seitdem ermittelt er für seinen früheren Kanzleichef. Als er während einer illegalen Überwachung zufällig die Leiche von Claire Gravesend auf dem Dach eines Luxusautos findet, ist er sich nicht zu schade, Fotos der Toten an die Presse zu verkaufen. Doch dann wird er von Claires wohlhabender Mutter engagiert, um den Tod ihrer Tochter zu untersuchen – sie glaubt nicht an Selbstmord. Crowe beginnt zu ermitteln – und stolpert über Indizien, die in eine unglaubliche Richtung weisen. Schnell wird der Fall immer komplexer und gefährlicher – wem kann Crowe noch trauen?

So klassisch Crowe auch angelegt ist, er ist ein durchaus vielschichtiger Held. Sein Weg ist mit aufgebrochenen Türen, lädierten Autos und Leichen gepflastert - allerdings steckt er auch ordentlich ein, wobei seine Fähigkeit, sich von Verletzungen zu erholen, schon ins Absurde geht.  Im Verlauf der Handlung zeigt sich, dass er – trotz seiner fragwürdigen Methoden – das Richtige tun möchte. Ein Nebenstrang des Romans dreht sich um Crowes Ex-Frau und verleiht dem harten Ermittler menschliche Tiefe. Vor allem aber nimmt er sich und seine Niederlagen nicht ganz ernst, das macht einfach Spaß. Mir gefielen die lakonischen Dialoge:

„Sind Sie verheiratet?“

„Hin und wieder.“

Laut lachen musste ich bei diesem Zwischenresümee:

"Ich zählte, was von Juliettes Geld übrig war, dann zählte ich die Kugeln in Jims Pistole. Alles in allem war meine Situation nicht schlecht. Ich konnte dreißig Tassen Kaffee kaufen und neun Leute umbringen."

Ab der Mitte des Romans mutiert der Krimi zum Techno Thriller (Michael Crichton lässt grüßen) und dann zu Science Fiction, mit Anleihen bei James Bond. Das klingt ein bisschen too much, aber Kestrels Schreibe ist so flüssig und die Handlung entwickelt sich so nachvollziehbar, dass man es ihm ohne Weiteres abnimmt. Es gibt nicht nur einen komplexen, gut ausgedachten Plot mit überraschenden Wendungen, sondern wir bekommen auch jede Menge Action geboten: Verfolgungsjagden per Auto und Hubschrauber, Schusswechsel, Kampfszenen und böse Wissenschaftler im Angriffsmodus. Aber unter all den schrillen Tönen bleibt der melancholische Sound des Noir als Base Line erhalten und erdet den Roman, der sonst vielleicht in die nächste Galaxie abgehoben wäre.

Kestrel befasst sich mit einem Thema, das Bezos, Musk und Konsorten bekanntermaßen schon länger auf den Nägeln brennt, womöglich „Bis in alle Endlichkeit“. Es ist aber auch zu blöd, dass man für Geld alles kaufen kann – nur eines nicht. Oder doch?

Ein Pageturner, der ein altes Sub-Genre gekonnt und zeitgemäß aufmischt.