Rezension

Absolute Leseempfehlung

Der Junge auf dem Berg
von John Boyne

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Nach dem Tod beider Eltern muss Pierrot erst seine Freunde und sodann seine Heimat verlassen. Sein Weg führt ihn in ein Waisenhaus in Frankreich. Kurze Zeit später meldet sich seine Tante und holt den Jungen nach Deutschland auf den Berchtesgadener Berghof – Adolf Hitlers Sommerresidenz.
Als Hauswirtschafterin für Hitler, bekleidet diese eine gute Position. Pierrot soll sich in Gegenwart des Hausherrn ruhig verhalten und seine eigene Vergangenheit nicht erwähnen.
Bald schon findet der „Führer“ Gefallen an dem Jungen, der sich so gut mit seinem Schäferhund versteht. Bald gerät der Junge unter den Einfluss des charismatischen Despoten. Pierrot ist es wichtig sich dem Hausherren als würdig und treu zu beweisen.

Wichtigste Charaktere:

Adolf Hitler wird aus der Sicht von Pierrot dargestellt. Dieser kann auf jeden Fall eine Orientierung in seinem Leben vertragen und findet schnell Gefallen an der dunklen Vaterfigur.
Pierrot wird Zeit seines Lebens immer von der Wahrheit abgeschottet. Er verliert schon früh beide Eltern und weitere Bezugspersonen.
Um Hitler seine Treue zu beweisen, ist er zu allem bereit – auch zum Verrat.
Die Abgründe, die sich in diesem Protagonistentyp verbergen und seine Verführbarkeit zum Bösen sind eine Parabel für die generelle Verführbarkeit des Menschen.

Schreibstil:
Der Junge auf dem Berg ist eine Geschichte, die wahre Tatsachen in eine fiktive Erzählung einwebt. Mit einem locker-leichtem und zugleich fesselndem Schreibstil gelingt es John Boyne den Leser an die Buchseiten zu binden.
Als Protagonist begleiten wir hier einen siebenjährigen Jungen, der in Paris aufgewachsen ist. Pierrot hat einen Großteil seiner Jugend in Gesellschaft seines besten Freundes Anshel verbracht. Einem tauben Jungen jüdischer Abstammung. Während die Mutter eine gebürtige Französin war, stammte der Vater ursprünglich aus Deutschland. Er hat im Krieg gekämpft und trug seinen Stolz auf sein Vaterland auf der Zunge. Die Ereignisse aus der damaligen Zeit, aber auch seine allgemeine Unzufriedenheit betäubte Pierrots Vater mit dem übermäßigen Konsum von Alkohol. Folge waren Streit in der Familie und Handgreiflichkeiten gegenüber der Ehefrau sowie der anschließende Selbstmord.
Pierrot, der zu dem Zeitpunkt noch recht jung war und den Vater anhimmelte, versuchte diesem stets gerecht zu werden. Gerne wollte er ihn mit Stolz erfüllen.
Nach dem Tod der Mutter durchläuft Pierrot einzelne Stationen. Er wird von seinem besten Freund getrennt, kommt in einem Waisenhaus unter und wird schließlich von seiner Tante nach Deutschland an den Berghof geholt. Hier lernt Pierrot im weiteren Verlauf Adolf Hitler kennen.
John Boyne gelingt es in seiner Geschichte einen Jungen zu zeigen, der durch die Geschehnisse, durch seine Naivität und auch die elterliche Prägung eine enorme Entwicklung durchlebt. Glaubhaft schildert der Autor den schleichenden Prozess und zeigt, wie ein Junge all die Menschen, die er einst geliebt hat, zum Teil verliert und zum anderen Teil verrät; wie er Teil eines großen Verbrechens wird. Zum Teil durch Nichtwissen, zum Teil durch Naivität, zum Teil weil er einfach nur dazugehören möchte.
Pierrot liebte seinen Vater und wollte diesem stets gerecht werden und mit Stolz erfüllen. Als er Adolf Hitler kennenlernt, erkennt er Parallelen zu seinem eigenen Vater. Auf der Fahrt von Frankreich nach Deutschland, aber auch in der Zeit davor, wird Pierrot oft für seine geringe Größe gehänselt. Er wird nicht nur einmal Opfer von Schikanen. Pierrot möchte aus diesem Schema ausbrechen. A. Hitler bietet dem Jungen das Ansehen und die Möglichkeiten, um gesehen und respektiert zu werden. Dafür jedoch muss Pierrot sich seinen Wünschen und Vorstellungen anpassen. Durch die Tante, die ihm einerseits verbietet, über die Vergangenheit zu sprechen und dem einzigen Freund in Frankreich, Anshel, Briefe zu schreiben, wird es Pierrot noch etwas leichter gemacht sich dem neuen Leben und den wenigen Möglichkeiten auf dem Berghof anzupassen.
Immer wieder durchlebt Pierrot Situationen, die er nicht zu deuten weiß. Hier ist ihm der Leser, der die geschichtlichen Ereignisse kennt, deutlich voraus. So versteht Pierrot nicht, warum die Mutter von Anshel ihn nach dem Tod der Eltern nicht aufnimmt sondern ihn in ein Heim abgibt.
Auf einer Zugfahrt muss Pierrot zusehen, wie ein Mann aus seinem Abteil geschmissen wird, obwohl noch genügend Plätze frei sind. Einfach, weil eine Frau das verlangt.
Auf dem Berghof muss Pierrot seine Vergangenheit verdrängen und sogar den Namen wechseln. Er möchte nicht Peter heißen und dennoch duldet die Tante hier keinen Widerspruch. Fast bekommt man als Leser Mitleid mit dem Jungen. Fast kann man verstehen, dass er mit Adolf Hitler, der zwar streng ist, aber ihm nach und nach Vertrauen schenkt, sympathisiert.
Über 320 Buchseiten deckt der Autor verschiedene Zeitspannen der Geschichte ab. Der erste Teil schildert die Ereignisse im Jahr 1936, der zweite Teil deckt die Zeit von 1937 bis 1940 ab und im letzten Teil begleiten wir Pierrot durch die Jahre 1941 bis 1945. Nun mag man denken, dass diese wenigen Seiten nicht ausgiebig die ganze geschichtlichen Hintergründe zu Genüge abdecken können. Diese Bedenken sind begründet. Da Pierrot jedoch den Großteil seiner Zeit auf dem Berghof, abgeschottet von den Erlebnissen außerhalb verbringt, reicht dieser Platz aus, um seine Sicht der Dinge zu schildern.

Fazit:
Der Junge auf dem Berg ist eine Geschichte über einen siebenjährigen Jungen, der durch verschiedene Schicksalsschläge in die Nähe von Adolf Hitler gelangt.
Wir erleben die Verführbarkeit des Jugendlichen für fundamentalistische Weltanschauungen. Die erschreckende Darstellung jugendlicher Verführbarkeit ist sehr lebensnah dargestellt.
Die Suche nach einer neuen Vaterfigur, der Wille sich zu verändern und aus der Opferrolle auszubrechen, sind nur zwei der Faktoren, die dafür sorgen, dass die Entwicklung des Protagonisten für den Leser greifbar wird. Diese Geschichte zeigt, wie schnell eine Situation kippen und wie leicht man vom Opfer zum Täter werden kann. John Boynes locker-leichter und zugleich fesselnder Schreibstil mit zeitloser und zugleich bewegender Thematik macht dieses Buch zur perfekten Schullektüre.
Diesem Buch ist eine große, kritische und junge Leserschaft zu wünschen.