Rezension

Bewegend und tiefgründig

Lebe, als gäbe es kein Morgen -

Lebe, als gäbe es kein Morgen
von Charlotte Taylor

Bewertet mit 5 Sternen

„...Ich wäre in meiner Schulzeit sicher nicht auf die Idee gekommen, meinen Lehrern Weihnachtskarten zu überreichen. Schon gar keine selbstgebastelten...“

 

Reed, von dem dieser Gedanke stammt, lebt seit dem plötzlichen Tod seiner Frau vor 5 Jahren mit seiner 13jährigen Tochter Grace in einem kleinen Ort in Kanada. Er ist Meeresbiologe und bietet umweltschonende Waltouren für Touristen an.

Kiona ist vor kurzem in hier Heimatdorf zurückgekehrt. In Vancouver hatte sie ihre Stellung als Lehrerin verloren, weil sie sich politisch engagiert hat.

Die Autorin hat eine abwechslungsreiche und tiefgründige Geschichte geschrieben. Das Buch nur als Liebesgeschichte zu bezeichnen, würde ihm nicht gerecht. Eingebettet sind Fragen des Umgangs miteinander, des latenten Rassismus und des Umweltschutzes.Dabei vermeidet es die Autorin, die Themen einseitig zu betrachten.

Der Schriftstil ist vielschichtig. Er wechselt zwischen sachlichen Darstellungen, gekonnten Dialogen und berührenden Momenten.

Reed hat es zur Zeit nicht einfach mit seienr Tochter. Die junge Dame ist voll in der Pubertät und knallt ihm schon einmal ihre Meinung ungefiltert vor den Kopf. Reed fasst die Situation einmal so zusammen:

 

„...Offenbar hatte gerade das Schmusekätzchen in ihr Schicht und nicht der zähnefletschende Säbelzahntiger, der heute Mittag für eine sehr unerfreulichen Rückflug von Tofino gesorgt hatte...“

 

Kiona ist die Kunstlehrerin von Grace. Dadurch kennt sie den Beruf ihres Vaters. Ihre Ablehnung geht so weit, dass sie die Gaststätte verlässt, als Reed erscheint. Es wird aber nicht die letzte Begegnung der beiden bleiben, denn Reed bekommt die Meinung der Lehrerin auch durch Grace vermittelt.

Während Reed noch den Tod seiner Frau verarbeitet, gibt es in Kionas Kindheit und Jugend mehrere Baustellen. Da ihre Mutter zu den First Nations gehörte, fand sie damals allerdings bei den offiziellen Stellen keine Unterstützung. Erstaunlich ist, was sie trotz den Startschwierigkeiten aus ihrem Leben gemacht hat.

Reed sucht das Gespräch mit Kiona, um zu klären, dass Umweltschutz nur dann Sinn macht, wenn man weiß, worüber man redet. Deshalb lädt er sie zu einer Tour mit den Kajak ins Gebiet der Wale ein.

Die Beschreibung dieser Tour mit all ihren Feinheiten und Folgen gehört nicht nur zu den berührendsten Momenten des Buches, sondern auch zu den stilistischen und inhaltlichen Höhepunkten.

 

„...Einen Augenblick blitzte in ihren Augen absolutes Glück auf und machte ihr ebenmäßiges Gesicht ganz weich. Dann war es schon wieder vorbei. Der Wal schwamm ein Stück davon, um sich nur wenige Meter vor uns majestätisch aus dem Wasser zu schrauben...“

 

Die Anziehung zwischen Reed und Kiona ist nach dieser Tour mit den Händen greifbar. Natürlich werden sie in dem kleinen Ort von den Einwohner kritisch beäugt. Die Gerüchteküche brodelt. Auch Grace muss erst lernen, mit der neuen Situation zurecht zu kommen.

Kurze Zeit später holt Kiona nicht nur ihre politische Vergangenheit ein . Plötzlich kursieren rassistische Äußerungen und werden mit Drohungen verknüpft. Sehr verständlich und empfindsam reagiert die Direktorin. Sie organisiert eine Veranstaltung für die Öffentlichkeit. Kionas Rede dort ist eine weiterer Höhepunkt der Geschichte.

 

„...Ich habe eine gute Berufsausbildung und einen Job, der mir auch noch Spaß macht. Meistens jedenfalls. Was mich aber unglaublich wütend macht, ist, dass ich zeit meines Lebens wegen meiner Herkunft stigmatisiert wurde. [...] Ich habe mir nicht ausgesucht, zu sein, wer ich bin, aber ich muss damit leben...“

 

Das ist nur ein kurzer Ausschnitt. Kiona spannt den Bogen sehr weit und bringt damit nicht nur ihre Zuhörer zum Nachdenken, sondern auch mich als Leser.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.