Rezension

Bienenroadmovie.

Graue Bienen
von Andrej Kurkow

Bewertet mit 4 Sternen

Der Roman ist leider sehr aktuell geworden!

Kurzmeinung: Subtile Komik mag ich.
 

Zwei sich alt fühlende Männer verbringen den Winter in Malaja Starogradowka. Sie sind keine Freunde, doch der besondere Umstand, dass sie die einzigen Menschen sind, die das Dorf in der Kriegszone nicht verlassen haben, schmiedet sie zusammen. Das fiktive Dorf liegt in der „grauen Zone“, in einem Verwaltungsgebiet, das teilweise der Ukraine und teilweise Russland zugerechnet wird, also irgendwo im Donbas. Ostukraine. 

Nach dem harten Winter verlässt der eine, der sechs Bienenstöcke sein eigen nennt, die Ortschaft und fährt mit seinem alten Auto und den Bienen auf ein paar Umwegen in die Krim, damit die Bienen dort ungestört Honig produzieren können. Denn Granaten und Raketen mögen sie nicht, da sind sie empfindlich. Genauso wie ich.

Der Kommentar: 
Bevor der Roman ein Roadmovie wird, ein Bienenroadmovie sozusagen, gefällt er mir am besten. Den ganzen Winter über spielt er in dem kleinen Dorf, dessen Kirche durch Beschuß zerstört wurde und das nur zwei Straßen hat. Der Autor sieht durch die Augen Serges, des Imkers, den mühevollen Alltag dort. Daraus besteht das Leben: Kohleofen anschmeissen, eintönige Mahlzeiten zubereiten, Fotoalben durchblättern und sich erinnern, kurze Spaziergänge, sich mal gegenseitig besuchen und saufen, viel mehr können die beiden Männer nicht tun, die von der Stromversorgung und fast allen Einflüssen von außen abgeschnitten sind. Na ja, und hoffen. Gelegentlich Schnee schippen. Hoffen, dass die beiden feindlichen Lager, die sich vor und hinter dem Dorf in Stellung gebracht haben, über das Dorf feuern werden oder gar nicht. Na ja, bis jetzt ist alles fast gut gegangen. Nur einmal mussten sie ihre Fensterscheiben auswechseln. Wegen der Druckwellen. Und halt die Kirche. Und ein paar Nachbarhäuser und der Grater mitten auf der Straße zu den anderen Dörfern, wo man ab und zu mal hin muss, um Essen zu beschaffen. Aber sonst? Man lebt. Und wer lebt, beklagt sich nicht. Ach ja, und die nicht hochgegangenen Granaten im Garten, so dass man kein Gemüse mehr anpflanzen kann. Das ist schon lästig. Im vergangenen Jahr hat es einen der letzten Nachbarn beim Gärtnern zerfetzt. Schicksal halt. Serge müsste hungern, hätte er nicht seinen Honig: bestes Tauschmaterial.

Die Eintönigkeit des Alltags, das sich Eingraben in sich selbst, im Bett und hinterm Kohleofen, der Stoizismus der Männer, ihr Fatalismus, ihre unterdrückten Gefühle, die Starre eines auf das Allernotwendigste reduzierten Lebens hat der Autor wunderbar eingefangen. Man geht einmal am Tag mit nach draußen, schaut in den Himmel und fragt sich, ob es jemals wieder Frühling wird. Dann kocht man seine Buchweizengrütze oder seine Nudeln. Ach hätte man doch ein paar Eier. Oder Butter. Oder halt irgendwas.

Als es taut und sich Serge auf den Weg macht, wird die Erzählung zu einem skurrilen, dennoch leisen und lakonischen Abenteuer. L’amour, besseres Essen, Sonne, Blumen; Wiesen, Weinberge. Aber auch Grenzkontrollen, Willkür,Tod und  Gefahr. Ohne den ihm eigenen Fatalismus würde Serge nachts nicht schlafen können. Manchmal im Zelt, manchmal auf den Bienenstöcken und manchmal in einem warmen Bett einer Frau. Immerhin kann sie gut Bortschtsch kochen. Hat er lange nicht mehr gegessen. Irgendwie hat Serge bisher überlebt. Von irgendwo hat er immer wieder neuen Lebensmut hervorgeholt. Dennoch, dem ist sich Serge bewusst, ist er ein Spielball größerer und unbegreiflicher, weil unrationale Kräfte. 

Dieses Roadmovie ist mir eine Spur zu breit angesetzt. Wiederholungen waren unvermeidbar. Andererseits hat uns die Honigernte Freude bereitet.

 Fazit: Eine liebenswerte lakonische, subtil komische kleine Erzählung aus einem besetzten Gebiet.  

Kategorie:Gute Unterhaltung
Verlag: Diogenes