Rezension

Biografie einer 100Jährigen zwischen Wahrheit und Fiktion

Das Philosophenschiff -

Das Philosophenschiff
von Michael Köhlmeier

Bewertet mit 4 Sternen

Interessanter Roman über eine Zeit in Russland, die durchaus Vergleiche zur heutigen Russischen Föderation zulässt.

Die ehemalige Star-Architektin Anouk Perleman-Jacob möchte ihre Memoiren schreiben lassen und lädt deshalb zu ihrem 100. Geburtstag einen Schriftsteller ein, der den Ruf hat, es mit der Wahrheit nicht immer genau zu nehmen. Genau das möchte sie, der Nachwelt Rätsel aufgeben. War ihr Leben wirklich so, wie sie es dem Autor schildert und er es zu Papier bringt, oder war es doch anders? Bei seinen zahlreichen Besuchen erzählt sie aus ihrem Leben. In Sankt Petersburg geboren kam sie im Alter von 14 Jahren zusammen mit ihren Eltern auf ein sog. „Philosophenschiff“, mit dem die damaligen Bolschewiken-Machthaber auf Lenins Befehl unliebsame Intellektuelle außer Landes brachten. Sie waren nur eine Handvoll Personen auf einem Luxusdampfer für 2000 Passagiere. Während der Fahrt über die Ostsee, so berichtet sie dem Schriftsteller, hätte sie heimlich den im Rollstuhl sitzenden kranken Lenin getroffen und sich mit ihm angefreundet. Auch ihn wollten seine Widersacher loswerden …

Michael (Johannes Maria) Köhlmeier ist ein österreichischer Schriftsteller, der 1949 in Vorarlberg geboren wurde und dort auch aufgewachsen ist. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er Politikwissenschaft und Germanistik in Marburg/Lahn und im Anschluss daran Mathematik und Philosophie in Gießen. Bereits ab Ende der 1960er Jahre arbeitete er als freier Mitarbeiter für den ORF, wo er mit seinen Hörspielen bekannt wurde. Sein Debüt als Romanschriftsteller gab er 1982, seither schrieb er unzählige Romane, Hörstücke, Drehbücher, Liedtexte und Gedichte, für die er zahlreiche Preise erhielt. 1981 heiratete Michael Köhlmeier die Schriftstellerin Monika Helfer, sie haben zusammen vier Kinder. Der Autor lebt heute als freier Schriftsteller in Hohenems/Vorarlberg und in Wien.

Was ist Wahrheit, was ist Fiktion? Eine Frage, die man sich beim Lesen unwillkürlich stellt. Dem Autor ist es großartig gelungen, beides miteinander zu verknüpfen. In sachlich klarem Schreibstil führt er uns in die Zeit als die Bolschewiken in Russland die Macht hatten und berichtet von ihren Grausamkeiten und der Angst, mit der die Menschen leben mussten. Wir erfahren von zahlreichen bekannten russischen Personen, die teils ausgewiesen und teils vom Regime ermordet worden sind.

Leider ist die Geschichte ohne Kenntnisse über die russische Revolution und über die gegenseitigen Intrigen der damaligen Machthaber nur schwer zu verstehen. Mir sagten die meisten der namentlich erwähnten Personen wenig oder überhaupt nichts und über jeden Namen bei Wikipedia nachzuschlagen war mir bald zu mühsam. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die alte Dame in ihren Erinnerungen nicht chronologisch vorging, sondern immer nur kurze Episoden aus verschiedenen Zeiten erwähnte. Dennoch hat mich die Geschichte gepackt und ich war, bedingt auch durch den großartigen Schreibstil des Autors, mitten drin im Geschehen.

Fazit: Ein interessanter Roman, der sich leicht lesen lässt, aber schwer zu verstehen ist.