Rezension

Das Leben der Ida Bauer

Ida - Katharina Adler

Ida
von Katharina Adler

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ida Bauer hat es zu Berühmtheit gebracht. Nicht, weil sie die Schwester des Wiener Sozialdemokraten Otto Bauer war. Vielmehr, weil sie der „Fall Dora“ von Siegmund Freud war. An ihr erforschte Freud seine Übertragungstheorie, seine Hysterie-Annahmen.

Katharina Adler hat nun ein Buch über ihre Urgroßmutter geschrieben. Ein Buch, das überraschend unspektakulär ausfällt. Denn obwohl Ida Bauer zu einem berühmten Fall der Psychoanalyse wurde, bleibt der Besuch bei Freud nur eine Episode in Katharina Adlers Roman. Betrachtet man allerdings Ida Bauers Leben, so vermag das nicht so sehr verwundern, da sie die Therapie bei Dr. Freud nach nur 11 Wochen wieder enttäuscht abbrach.

Vom Aufbau des Romans her betrachtet, ist die Therapie bei Freud durchaus im Zentrum des Buches, nicht aber, was die Bedeutung angeht. Es ist eine von vielen Episoden in Ida Bauers ereignisreichem Leben und dementsprechend wird ihr nicht übermäßig viel Platz eingeräumt.

Von 1882 bis 1945 hat Ida Bauer gelebt. Eine Ironie des Schicksals ist, dass Freud bei seinem Fall Dora die Lebensgeschichte für äußerst relevant hielt. Aufgeschrieben hat diese nun Katharina Adler, freilich ganz anders als Siegmund Freud dies im Sinn hatte.

Mit „Ida“ begibt man sich in das Wien der Kaiserzeit, erlebt den Aufstieg ihres Bruders Otto zum Außenminister Österreichs und seinen Fall. Mit Ida sieht man den Generalstreik scheitern und muss den Aufstieg der Nazis miterleben wie auch die lange und schwierige Flucht über Frankreich in die USA.

Das ist das eine, was Ida lesens- und hörenswert macht: der historische Kontext ist immer wieder überzeugend in den Roman eingebunden.

Gut gelungen ist auch die Charakterisierung Idas, an der man sich abarbeiten kann. Denn allzu charmant wirkt Ida nicht. Zugleich ist „Ida“ auch eine Studie über das – vermeintliche – Großbürgertum und seinen Untergang. Gespickt hat Katharina Adler ihr Buch zudem mit vielen kleinen Anspielungen, vor allem zum Fall Dora. So spricht Freud während einer Therapiesitzung von „Herrn K.“, was Ida korrigiert – in Freuds späterer Veröffentlichung heißt der Mann, der Ida sexuell bedrängt hat, dann wirklich „Herr K.“.

Wenn es auch am Anfang etwas schwerfällt, wegen der vielen Namen und Zeitsprünge in das Hörbuch hineinzufinden: es lohnt sich. Zumindest lohnt es sich, wenn man nicht nur den „Fall Dora“ erwartet, sondern sich einlässt auf ein Leben zwischen der Jahrhundertwende.  Man erlebt ein Kind, das stark gefordert ist, weil es sich um den kranken, anfälligen Vater kümmern muss, zu dessen „Äuglein“ wird, als er sein Augenlicht verliert. Man erlebt eine Jugendliche, die sich den Bedrängungen von Hans nicht wirklich zu erwehren weiß. Und schließlich ist man mit dabei, wenn die 18-Jährige auf Initiative ihres Vaters die Praxis von Dr. Freud betritt.

Hier läuft Katharina Adler dann zur Höchstform auf. Genüsslich schildert sie, wie erfreut Ida ist, dass sie bei Dr. Freud warten muss, weil sie nun weiß, dass er auch andere Patienten hat und nicht nur sie sich diese Gespräche antut. Trotz aller Krankheiten ist Ida als starke Persönlichkeit geschildert, die sich von Freuds Theorien kaum begeistern lässt. Irritiert bleibt sie zurück, wenn Freud ihr gegenüber ausdeutet, was es mit ihrem „Schatzkästlein“ auf sich hat.

Auch wenn der Roman am Ende mit der Emigration nach Amerika ein wenig vor sich hin tröpfelt und man den Eindruck hat, dass der Autorin ein wenig die Puste ausgegangen ist: Katharina Adler hat mit „Ida“ bewiesen, dass sie schreiben kann. Gut schreiben kann. Ihr gelingt der Blick aufs Detail wie aufs große Ganze. Sie beherrscht den leichten, persiflierenden Ton genauso wie die bewusste, liebevolle Distanz zu ihren Figuren.