Rezension

Der Klebstoff, der das Leben zusammen hält

Das Leben kleben - Marina Lewycka

Das Leben kleben
von Marina Lewycka

Zum Inhalt: Georgie Sinclairs Leben wird gehörig durcheinander gewirbelt, als sich ihr Mann nach einem Streit von ihr trennt. Eigentlich ist sie schon lange nicht mehr zufrieden in ihrer Ehe, ist von ihrem Mann, dem seine Arbeit an einem "Zukunfts-Entwicklungsprojekt" viel wichtiger zu sein scheint als das familiäre Leben, enttäuscht – aber heißt das, dass er gleich ausziehen muss? Als sie wutentbrannt all seine Sachen in einem Müllcontainer an der Straße deponiert, lernt sie Naomi Shapiro, eine nur ein paar Häuser entfernte Nachbarin kennen. Die alte Frau lebt mit ihren sieben Katzen in einer heruntergekommenen, baufälligen alten Villa – und Georgie fühlt sich zu der etwas wunderlichen und eigenwilligen alten Dame, die ihren Lebensunterhalt hauptsächlich aus dem, was sie in den Hinterlassenschaften anderer Menschen und im Schnäppchenregal im Supermarkt bestreitet, sofort verbunden. Nach einer Einladung zum Abendessen bei Mrs. Shapiro, das Georgie aufgrund des großzügig ignorierten Ablaufdatums der unterschiedlichen Speisen eine schwere Magenverstimmmung beschert, ist die Freundschaft zwischen den beiden Frauen besiegelt. Als Mrs. Shapiro nach einem Sturz auf der vereisten Straße ins Krankenhaus eingeliefert wird, droht ihr plötzlich die Einweisung in das Altersheim, nicht zuletzt, weil unterschiedliche Parteien sich plötzlich sehr für das Anwesen, in dem die alte Dame wohnt, zu interessieren beginnen.

Georgie, die mit dem Chaos in ihrem eigenen Leben kämpft – ihrer gescheiterten Ehe, ihrem halbwüchsigen Sohn, der plötzlich in einen Sog religiöser Verschwörungstheorien hineingeraten zu sein scheint, findet sich plötzlich zusätzlich mit einer Schar von Immobilienmaklern und Mitarbeitern des Sozialamtes konfrontiert, die zwar selbst viele Interessen vertreten, sich aber nicht für das Wohl der alten Mrs. Shapiro zu interessieren scheinen. Und auch Mrs. Shapiro selbst scheint ein Geheimnis in ihrer Vergangenheit zu bewahren, das sie nicht preisgeben will und gibt Georgie immer mehr Rätsel auf...

Eigene Meinung: Mit einem sehr liebevollen und humorvollen Ton zeichnet die Autorin die Geschichte um Georgie Sinclair, Mutter, verlassene Ehefrau und freie Autorin beim Online-Magazin "Klebstoffe".

Das Kernstück der Geschichte sind die eigenwilligen Charaktere, allen voran Naomi Shapiro, die so prägnant und charmant gezeichnet sind, dass ich sie sofort in mein Herz geschlossen habe. Das zentrale Thema ist der "Klebstoff", die emotionale Verbindung zwischen Menschen, der Bindungen entstehen lässt und das Leben mit dem anderer Menschen verknüpft. Hier hat mir sehr gut gefallen, wie es der Autorin gelingt, die unterschiedlichen Arten von zwischenmenschlichen Klebstoffen durch die eingestreuten Passagen, in denen die Hauptfigur Georgie sich ihrer Arbeit beim Online-Magazin "Klebstoffe" widmet, immer wieder herauszuarbeiten. Georgie, deren eigenes Leben gerade nicht mehr ausreichend "zusammengehalten" zu werden scheint, ist die zentrale Figur der Geschichte, die, indem sie sich auf die etwas wunderliche Mrs. Shapiro einlässt, den Klebstoff zwischen all den im Buch aufgeführten Personen entstehen lässt.

Und so kommt es, dass neben dem sehr, sehr amüsant beschriebenen Handlungsstrang, in dem es um Mrs. Shapiro und den Erhalt ihres heruntergekommenen Häuschens geht, noch eine zusätzliche Ebene ins Buch eingearbeitet wird. Diese Ebene wird dominiert von der Geschichte um Mr. Ali, einen vermeintlich pakistanischen Handwerker, der sich jedoch als Palästinenser mit dramatischer Vergangenheit entpuppt, und der, gemeinsam mit seinem Neffen Ismael und dessen Freund Nabil, das Häuschen von Mrs. Shapiro, der jüdischen alten Dame, instand setzt. Diese Geschichte in der Geschichte gibt dem Buch mehr Tiefe, wir erfahren von der langen und schmerzhaften Geschichte zwischen Juden und Palästinensern, den emotionalen Verletzungen auf beiden Seiten und der Tiefe des Konfliktes, wie er auch heute noch besteht.

Georgie selbst lebt in der für sie völlig neuen Lebenssituation, in der sie sich wiederfindet,  viele Facetten aus, die in der Routine und Sicherheit ihres Familienlebens der letzten Jahre schon lange begraben waren und wird im Verlauf der Geschichte somit von Georgie zu Georgina, Georgette, Georgia – und auch ihr Alter Ego "Ms. Firestorm", das Pseudonym, das sie für ihre bisher unveröffentlichen Romane verwendet, bekommt im Laufe der Geschichte viel Input für die Fortsetzung ihres aktuellen Romans, "Das verspritzte Herz".

Das Buch war für mich mit Sicherheit keine literarische Offenbarung, aber mit dieser Erwartung geht man an die Geschichte auch nicht heran, wenn man die vorherigen Romane der Autorin kennt. Dies hat für mich allerdings das Lesevergnügen in keinster Weise geschmälert, die gewohnt herzliche und oftmals ein bisschen rauhe Art und Weise, liebenswerte Figuren zu erschaffen und mit einem Augenzwinkern unterhaltsame Geschichten zu erzählen, haben mich die 460 Seiten innerhalb von wenigen Tagen durchlesen lassen und alle meine Erwartungen erfüllt!