der spannende Reihenauftakt Becketts neuer Thrillerreihe um Jonah Colley
Bewertet mit 4 Sternen
Normalerweise starten Thrillerreihen immer etwas gemütlicher, erklären erst das Setting und alle Gegebenheiten, bevor es wirklich zur Sache geht, aber in Simon Becketts "Die Verlorenen" stürzt sich der*die Leser*in mit dem Protagonisten Jonah Colley gleich in den Nervenkitzel.
Vor ungefähr zehn Jahren verschwand Jonahs vierjähriger Sohn Theo spurlos vom Spielplatz. Sein Leben liegt seit dem in Scherben, seine Frau trennte sich, sein bester Freund Gavin wandte sich von ihm ab und von seiner jetzigen Wohnsituation braucht man gar nicht erst zu reden. Er macht sich immer noch Vorwürfe für das, was damals geschah und ausgerechnet jetzt, als er mit seinen Kollegen von der bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei einen angenehmen Abend verbringen mag, erreicht ihn ein überraschender Anruf. Gavin braucht seine Hilfe und bittet ihn um ein Treffen im alten Slaughter Quay. Schlachterkai. Kurz bevor das Gespräch abbricht, erklärt er ihm, dass Jonah der einzige sei, dem man noch vertrauen könnte… Was soll das bedeutet? Nach anfänglicher Skepsis macht Jonah sich auf den Weg, doch als er am alten, abgelegenen Lagerhaus ankommt, ist es bereits zu spät und er findet nur noch Gavins Leiche in mitten eines Plastikberges. Als er sich weiter umschaut, entdeckt er am Rand drei weitere in Folie und Brandkalk verpackte Opfer. Eines bewegt sich, ringt um sein Leben, doch als Jonah die junge Frau retten will, bezahlt auch er beinahe mit seinem Leben.
Als er etwas später mit zahlreichen Blessuren im Krankenhaus erwacht, beginnt ein heimtückisches Spiel. Jonah steht plötzlich nicht nur bei DI Fletcher im Zentrum aller Ermittlungen, sondern auch im Fokus des Täters. Die Vergangenheit holt ihn erneut ein, alte Wunden platzen auf, Jonah begibt sich eigenmächtig auf die Suche, begeht Fehler. Ein Wechselbad der Gefühle und Verstrickungen. Doch schafft er es am Ende wirklich den Täter zu stellen, bevor dieser ihn in den Knast bringt oder eher noch tötet?
Was für ein Ritt und was für ein unglaublich makabreres Spiel. Aber das Ende, so muss man das dann leider sagen, ist losgelöst betrachtet echt ein wenig enttäuschend, der Fall überhaupt nicht abgeschlossen und mehrere Fragen, sowie offene Enden warten auf eine Fortsetzung. Warum oder was hat zu dem vernarbten Gesicht des DI Fletcher geführt? Was genau ist mit dem Täter/der Täterin passiert? Was hat es mit … auf sich? Was wird aus Jonah? Wird er wirklich Ruhe finden? Wann mag es wieder weitergehen? Wird er wieder mit all den anderen Ermittlern zutun haben? Was ist mit der Tochter? Dem Sohn? Den anderen Kindern? Was …? Wie…? Ich mag ja nun noch nicht zu viel verraten, aber irgendwie merkt man total, dass in diesem Auftakt wahnsinnig viele Möglichkeiten und Geschichten für nachfolgende Teile vorbereitet werden. Und obwohl man sich ständig mit irgendwelchen Fragen konfrontiert sieht oder vielleicht auch gerade deswegen, hat "Die Verlorenen" eine enorme Sogwirkung. Bereits nach dem Anlesen wollte ich diesen Thriller nicht mehr aus der Hand legen und später hatte ich dann eher damit ein Problem, dass dieses Buch bald zu Ende ist und musste mich sehr zurückhalten. Beckett gelingt es scheinbar spielend immer wieder neue Spuren, Mordfälle und Ereignisse in den fortschreitenden Ermittlungsstrang einfließen zu lassen und dass der Protagonist Jonah Colley, zwar zur bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei gehört, aber nicht direkt an der Ermittlung beteiligt, sondern auf der anderen Seite der Anklagebank sitzt und zeitgleich Zielperson ist, kommt diesem Spiel unglaublich zu Gute. Jede*r Leser*in, Protagonistin (bis auf der Mörder/die Mörderin) und die Detectives tappen quasi durchgehend im Dunkeln, sieht sich mit Vertuschungen und verheerenden Hinweisen konfrontiert, bis es zur Auflösung kommt, man erneut um Jonah und andere Beteiligte bangt und dann auch eigentlich schon auf die Fortsetzung und weitere Auflösung wartet. Sicherlich sind dabei einige Handlungen und Taten ein wenig überzeichnet und drüber, vielleicht ist auch nicht immer alles hundertprozentig logisch, aber der Mensch ist ein unverständliches Wesen und eine ständig tickende Zeitbombe und was da dann alles möglich ist… ach, wir wollen es lieber nicht wissen. Mir hat dieses Buch zumindest sehr viel Freude bereitet, Nerven abverlangt und gut bis schrecklich gut unterhalten, allerdings und das wäre dann für mich wahrlich auch der einzig mögliche Kritik- und Knackpunkt, es ist etwas schade, dass dieses Buch bzw. dieser Fall nicht ganz für sich abgeschlossen ist und sehr viel offen bleibt. Daher kann ich es dann auch verstehen, wenn Leserinnen hier etwas enttäuscht sein werden, aber im Hinblick auf das was da noch alles kommen könnte, ist es eben auch eine unglaubliche Chance auf eine großartige Reihe. Für Krimi- und Thrillerfans, auch jene, die diese Form der spannenden Unterhaltung nur sehr selten aufsuchen, ist es jedenfalls ein tolles Buch, bei dem man garantiert nichts falsch machen kann. Mehr darf und kann ich an dieser Stelle dann auch schon nicht mehr sagen, denn jedes weitere Wort wäre gefühlt ein Spoiler und könnte den Überraschungseffekt an der ein oder anderen Stelle kosten. Also viel Spaß beim Selbstlesen!