Rezension

Der Traum vom Vollkommenen

Der leuchtend blaue Faden - Anne Tyler

Der leuchtend blaue Faden
von Anne Tyler

Bewertet mit 5 Sternen

Familie kann alles sein. Schrecklich. Wunderschön. Dahinplätschernd. Ein Halt. Die Hölle. Nervend. Home sweet Home, Heimat. Auf jeden Fall ist die Familie das Herz unserer Gesellschaft, das kann man drehen und wenden, wie man will, das ist so. Deshalb u.a. liebe ich Familienromane. Anne Tyler hat einen verfasst, in dem man sich wiederfinden kann und in den man sich verliebt.

Anne Tyler schreibt einen Familienroman, sie beschreibt darin die Whitshanks. Wie alle Familien haben sie Vorzüge und Nachteile, sind spleenig auf ihre ganz eigene Art. Die Autorin charakterisiert sie folgendermaßen:

„An den Whitshanks war nichts Bemerkenswertes. Keiner von ihnen war berühmt. Keiner von ihnen konnte außergewöhnliche Intelligenz geltend machen. Und was das Äußere betraf, waren sie nicht mehr als Durchschnitt.“ Raffiniert gibt Anne Tyler ihnen jedoch eine andere Eigenwahrnehmung: „Aber wie die meisten Familien bildeten sie sich ein, was Besonderes zu sein. So hielten sie sich beispielsweise viel auf ihr handwerkliches Geschick zugute.“

Erzählt wird zunächst von der inzwischen auch schon betagten Elterngeneration aus, mit Abby und Red Whitshank als Mittelpunkt. Von deren Kindern passt einer nicht recht ins Schema, schert immer wieder aus, beansprucht die Aufmerksamkeit der Eltern im Übermaß, sorgt für Sorgen und Streitereien, Eifersüchteleien und Rangeleien. Als Abby anfängt Aussetzer zu haben und Red, der die Baufirma des Vaters übernommen hatte, einen ersten leichten Herzinfarkt hat, muss man überlegen, ob das Haus in der Bouton Road gehalten werden kann, - der Stolz der Familie.

Denn dieses Haus ist mehr als nur ein Haus. Wie dieses Haus in den Whitshankschen Besitz gelangte, gehört zur kurzen Familienchronik. Denn die Whitshanks sind Aufsteiger, ja, Emporkömmlinge und das Haus ist das Symbol ihres Erfolgs und das Zeichen des guten Geschmacks seines Besitzers. Vollkommenheit und Makellosigkeit abzubilden, das war Traum und Ziel des Bauunternehmers Jurvis Roy, dem „Stammvater“. Seine Selbstdarstellung. Dumm nur, dass Linnie, seine Frau, einem anderen, gegenläufigen Lebenstraum nachhing, einem viel gewöhnlicheren, unambitionierten, dem Traum vom Glück halt: atmosphärische Störungen vorprogrammiert!

Dieser Roman liest sich leicht. Man sympathisiert abwechselnd mit den verschiedenen Charakteren, von denen jeder aus seiner Perspektive heraus betrachtet recht hat. Und natürlich haben die Whitshanks, wie fast jede Familie, auch ein paar delikate Details zu verschweigen ...

Fazit: Nachhaltige Unterhaltung mit hohem Identifikationspotential.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: Kein & Aber, 2015