Rezension

Familienleben

Der leuchtend blaue Faden - Anne Tyler

Der leuchtend blaue Faden
von Anne Tyler

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sie glaubten, die perfekte Familie zu sein – doch gibt es die perfekte Familie? Abby und Red werden immer älter, ihre vier Kinder scheinen immer eigenständigere Leben zu führen, und wer soll sich um das nunmehr viel zu große Haus kümmern? Noch ist es der Mittelpunkt, hier treffen die einzelnen Familienmitglieder aufeinander, hier versuchen sie alle, ihre individuellen Vorstellungen durchzubringen. Anne Tyler schaut tief in die Seele ihrer Figuren, entlarvt deren Sehnsüchte und seziert die familiären Beziehungen, wie nur sie es kann. Brillant beobachtet, mit feinem Witz und herzzerreißend – und so nahe am Leben, dass sich jeder im geschilderten Familienleben wiedererkennen kann. (Verlagsseite) 

Anne Tyler hat es wieder getan. Wieder das geschrieben, was sie am besten kann: Einen Familienroman. Und immer wieder dreht es sich um etwas chaotische, aber liebevolle Verhältnisse und um Familienmitglieder, die ihr Leben ändern wollen / müssen.
Dass Tyler immer wieder etwas Neues einfällt, ist zu bewundern. – Auch wenn man dem einen oder anderen Charakter in Variation schon in früheren Büchern begegnet ist. – 

Spektakuläre Inhalte, rasante Abläufe oder spannende Szenen sind Tylers Markenzeichen nicht, dennoch lesen sich ihre Bücher wohltuend und herzerfrischend für denjenigen, der eher eine ruhigere, von Personen getragene und von Alltagsereignissen bestimmte Handlung mag. 

Dieser Roman umfasst die Geschichte eines Hauses von seinem Erbauer bis zum Auszug des letzten Familienmitglieds. Dabei geht Tyler nicht chronologisch vor, sondern erzählt erst die Geschichte der gegenwärtigen Bewohner und geht dann in der Zeit zurück, um am Ende wieder zur Jetztzeit zurückzukehren. 

Im Mittelpunkt stehen Sozialarbeiterin Abby und Baufirmeninhaber Red, Eltern von drei eigenen und einem Pflegekind: die vier sind erwachsen und drei von ihnen haben eine eigene Familie gegründet, so dass sieben Enkelkinder dazugehören. Abbys Aussetzer und Reds nachlassende körperliche Vitalität rufen die Kinder auf den Plan, die tüchtige Rechtanwältin Amanda, die zupackende Jeannie, das schwarze Schaf Denny und den Firmenerben Stem.
Die alten Rollen, die sie als Kinder in der Familie gespielt haben und eigentlich vergangene Rivalitäten brechen wieder auf. Jeder hatte als Kind seinen Platz, seine Rolle, und demgemäß verhalten sie sich auch als Erwachsene. 

Rollenverhalten genau darzustellen, dabei nicht parteiisch zu werden, sondern jeder Figur ihre unverwechselbare Stimme zu geben gehört auch zu Tylers Spezialitäten. Sie beobachtet treffsicher, schildert prägnant und psychologisch präzise ohne zu sezieren oder zu zergliedern, ganz einfach, indem sie ihre Personen spielen lässt. 

Nach ein paar schwächeren Romanen der Autorin nun wieder ein Buch, in dem sie ihr ganzes Können zeigt und das den Leser zu fesseln vermag: Mit nichts anderem als alltäglichem Wahnsinn, Witz und dem, was jeder kennt.