Rezension

Die fröhlichsten Hunde der Welt

Alles, was passieren wird -

Alles, was passieren wird
von Katharina Hacker

Bewertet mit 4 Sternen

Für den Roman „Die Habenichtse“ wurde Katharina Hacker 2006 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Ich weiß noch, wie erschlagen und wütend mich dieser Roman zurückgelassen hatte. Die dargestellte menschliche Verwahrlosung schnitt mir ganz tief ins Herz. Selbst heute brauche ich nur daran zu denken und schon ist das Gefühl der Ohnmacht und der Wut wieder da. Ich habe dann lange Zeit nichts von Katharina Hacker lesen können, weil ich Angst vor so intensiver Literatur hatte. Damit tue ich der Autorin sicher Unrecht und es ist auch gemein, weil ich Literatur genau wegen der möglichen Gefühlstiefe bewundere. Aber es ist eben einfacher sich in „Krieg und Frieden“ als längst vergangene Epoche hineinzufühlen, als in die eigene Gegenwart mit ihren viel zu nahen Schwächen und Absurditäten.

In Katharina Hackers neuem Roman „Alles was passieren wird“ scheint es auf den ersten Blick auch wieder um Verwahrlosung zu gehen. Doch im Gegensatz zu den Habenichtsen ist diese Geschichte von Hoffnung und überraschender Gemeinschaft durchzogen. Iris hat im Februar ihre Mutter und damit ihren gesamten Halt verloren. Ihr Vater steckt in seiner eigenen Trauer fest und muss die plötzlichen Geldsorgen schultern. Im Verlauf des Schuljahres entfremdet sich Iris von ihren Freunden und Klassenkameraden. Kaum jemand weiß um ihren Verlust und doch verliert sie erschreckend schnell den sozialen Anschluss an ihre Klasse. Im Herbst wird die Situation zu Hause für Iris so unerträglich, dass sie ausreißt und ausgerechnet heimlich im Schulturm Unterschlupf findet. Doch unverhofft bringt ihr eine traurige Entscheidung in der Familie ihrer ehemals besten Freundin Lisa neue Annäherung. Ein verrückter Plan wird geschmiedet, Mitschüler entpuppen sich als echte Freunde und eine weiße Stute rettet schließlich Iris aus ihrer Traurigkeit oder war es umgekehrt?

Katharina Hackers Roman haut mich weg. Auf eine gute Art und Weise. Sie erzählt von Schmerz, Trauer, Verlust, Hilflosigkeit, Familienproblemen, Verwahrlosung und von dem tröstlichen Gefühl gute Freunde zu haben und warmherzigen Menschen zu begegnen. Ich bin beeindruckt, wie präzise und glaubhaft sie Iris‘ innere Gefühlswelt beschreibt. Und wie dieses junge Mädchen trotz oder wegen ihres eigenen Kummers beginnt, ihre Umwelt mit neuen Augen wahrzunehmen und auf die Zwischentöne ihres Gegenübers zu achten. Ja, ihre Kindheit ist mit dem Verlust der Mutter endgültig vorbei. Die Geborgenheit, Sicherheit und die Sorglosigkeit des Kinderlebens hat sie verloren und droht in der ungewohnten Dunkelheit zu ertrinken. Doch Iris gibt nicht auf, sondern kämpft sich zurück zu den Dingen, die das Leben lebenswert machen. Hilfreich sind dabei vor allem auch die tierischen Figuren in diesem Roman. Ohne die fröhlichsten Hunde der Welt und der traumatisierten Schimmelstute Bellina hätte sich das Mädchen vielleicht verloren. Und so schenkt mir Katharina Hacker eine hoffnungsvolle Geschichte aus meiner Gegenwart, in der viele Dinge nach wie vor nicht rund laufen, aber in der es auch Raum für Größe, Wärme und Unerklärliches gibt und dazu einige Erwachsene, die nicht wegschauen, sondern den Halbwüchsigen auf Augenhöhe begegnen.