Rezension

Die Geschichte erwacht zum Leben

Das Buch der Königin - Sabine Weigand

Das Buch der Königin
von Sabine Weigand

Bewertet mit 5 Sternen

Das Titelbild zeigt eine Szene aus Konstanzes Leben, und vielleicht eine der bittersten: sie wird gezwungen, ihr Baby abzugeben, und dann abgeführt wie eine Verbrecherin. Dabei war die Geburt für sie ein kleines Wunder, mit dem sie nach vielen Jahren der Unfruchtbarkeit nicht mehr gerechnet hatte, und in diesem Moment ist sie nicht die Frau des Kaisers, sondern einfach eine verzweifelte Mutter, der ihr Kind weggenommen wird.

Und genau das war für mich die große Stärke des Romans: historische Gestalten - Barbarossa, Richard Löwenherz, Heinrich VI., Konstanze selber und viele mehr - erwachen auf seinen Seiten zum Leben. Wenn man Geschichtsbücher liest, kann man leicht vergessen, dass Geschichte von echten Menschen aus Fleisch und Blut geschrieben wurde, aber die promovierte Historikerin Sabine Weigand lädt uns ein, mit ihnen zu fühlen, zu leiden und zu hoffen. Die Autorin stützt sich auf die überlieferten Dokumente, soweit das möglich ist, und erfindet plausibel und glaubhaft dazu, was diese uns nicht verraten. (Im Anhang des Buches findet man übrigens eine hochinteressante Erklärung über die überlieferten Hintergründe.) Hat Konstanze ihren Sohn zum Beispiel wirklich in einem Zelt geboren? Mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen, aber es gibt genug Hinweise darauf, dass es wahr sein könnte... So oder so passt es zu der Konstanze, die das Buch uns zeigt, und ist eine packende Schlüsselszene.

Es gibt auch erfundene Charaktere, wie z.B. den jungen Gottfried von Streitenberg, der eigentlich ein Adliger ist, aber schon als 11-jähriger - zu unrecht als Mörder verschrien - flüchten muss und danach ein ganz anderes Leben als Buchmaler und Schreiber beginnt, in dem er es zu einem gewissen Ruhm bringt. Oder seine Schwester Hemma, die ihre große Liebe beinahe ins Unglück stürzt. Oder Aziz, den Milchbruder Konstanzes, für den sie mehr als nur brüderliche Gefühle hegt... Und viele mehr.

Diese erfundenen Charaktere fügen sich nahtlos ein in das Geflecht, atmen genauso den Hauch der Geschichte wie die echten. Sie zeigen dem Leser, wie das Leben damals war, für die Adligen sowie für die Bürgerlichen - die vom Glück gesegneten und die, die jeden Tag hart arbeiten oder gar um ihr Leben kämpfen mussten. Diese gekonnte, lockere Mischung aus "so war es" und "so hätte es sein können" liest sich spannend und originell.

Besonders die vielen Dinge, die man durch Gottfried über die Kunst der Buchmalerei erfährt, fand ich hochinteressant! Die Herstellung der verschiedenen Tinten, das Gemisch der möglichen Farben, das könnte eine dröge Ansammlung von Fakten sein - ist es aber nicht. Durch Gottfried und seine Liebe zu dieser Kunst wird es auch für den Leser fesselnd... In mir haben seine Erklärungen direkt den Wunsch geweckt, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen!

Der Schreibstil ist bei historischen Romanen ja immer eine Art Drahtseilakt: ein Tanz zwischen dem, wie Leute damals wirklich gesprochen und geschrieben haben, und dem, was für heutige Leser noch flüssig genug zu lesen ist, damit sie das Buch nicht frustiert zuklappen. Meiner Meinung nach gelingt der Autorin genau die richtige Balance; nur hier und dort klang mir ein einzelner Satz ein wenig zu modern, aber das kam wirklich nur selten vor. Sie schreibt angenehm bildreich, in prächtigen Metaphern, so dass man Orte und Charaktere beinahe schon vor sich sehen kann. Vieles wird aus Konstanzes Sicht erzählt - in der Ich-Perspektive und im Präsens, so dass man das Gefühl hat, es gerade jetzt im Moment mitzuerleben. Der Wechsel der Perspektiven und auch der Zeitformen ist ein geschickter Schachzug, der manche Szenen umso mehr heraushebt.

Es gibt die ein oder andere Liebesgeschichte - und die meisten davon zeigen, dass viele Menschen damals nicht den Luxus hatten, selber zu entscheiden, wen sie lieben wollen. Die Bauern waren da freier als die Adligen, aber auch ein Bauerssohn musste vielleicht die Tochter des Müllers heiraten, um die Mühle zu erben... Insofern hat die Romantik in diesem Buch oft einen Beigeschmack von leichter Verzweiflung, von Bedauern und unerfüllten Wünschen. Realistisch, und glücklicherweise nur wenig kitschig.

Fazit:
Eigentlich bin ich ja, was historische Romane betrifft, eher ein Lesemuffel - allzu oft fühle ich mich von den vielen Personen und Ereignissen geradezu erschlagen. Hier ist es mir aber schnell gelungen, mich in die Geschichte einzulesen! Die Autorin verbindet geschickt historisch Belegtes mit glaubhaft Erfundenem, und das Ergebnis liest sich unterhaltsam UND lehrreich.