Rezension

Die Macht des Wortes

Der Stotterer - Charles Lewinsky

Der Stotterer
von Charles Lewinsky

Bewertet mit 4 Sternen

Johannes Hosea Stärckle sitzt in der Justizvollzugsanstalt eine Haftstrafe ab. Vom Gefängnispfarrer, den Stärckle immer nur den „Padre“ nennt, protegiert, kann er in der Gefängnisbücherei zu arbeiten beginnen. Von einem Mithäftling, einem mafiösen Drogenboss, wird Stärckle aufgrund seiner Position in einen gefährlichen Drogenschmuggel involviert. 

Es ist eine schreckliche Kindheit, von der Stärckle erzählt. Von religiös fanatischen Eltern und dem bigotten Anführer einer sektioden Freikirche erzogen, missbraucht, gezüchtigt, ungeliebt. Seine Berufung als Betrüger vergleicht er mit der eines Priesters, so unähnlich seien die  beiden Betätigungsfelder nicht, behauptet er.

„Eitelkeit, Egoismus und Größenwahn, das waren die Triebfedern meines Handelns.“ Hier zumindest erkennt er die Wahrheit über sein Ich an.

Stärckle ist ein Verbrecher, ein verurteilter Trickbetrüger. Seine Waffe ist das Wort, das geschriebene Wort. Denn Stärckle ist der Stotterer. Nicht imstande verbal zu kommunizieren, beginnt er einen regen Schriftverkehr mit dem Padre. Stärckle ist unsympathisch, manipulativ, ein Paradebeispiel des unzuverlässigen Erzählers. Unverhohlen gibt er zu, bei seiner Niederschrift nicht immer die Wahrheit zu erzählen. Bei all den verschiedenen Spielarten seiner Lebenserzählung weiß man bis zum Schluss nicht, was er tatsächlich erlebt, was er erfunden hat. Neben den Aufzeichnungen für den Padre, führt er ein Tagebuch. Animiert vom Pfarrer bewirbt er sich für einen Schreibwettbewerb, diverse kurze Geschichten, Fingerübungen nennt Stärckle diese, unterbrechen den Erzählfluss. Ein schriftliches Stottern quasi.

Manches Mal wird die Lektüre anstrengend, man wird der Lügen überdrüssig, wartet man auf die große Pointe. Der Stotterer ist ein Schelmenroman. Doch wer ist hier der Schelm? Stärckle, dem nichts zu glauben ist? Oder Charles Lewinsky, der Autor, der nicht nur uns sondern auch seinen Protagonisten an der Nase herumführt?

"Geschichtenerfinder müssen keine Bekenner sein, sondern gute Lügner. Wer ein Märchen erzählt, muss an die Feen und sprechenden Tiere nicht glauben. Er muss sie nur so beschreiben können, dass der Leser daran glaubt, und selbst das nur für einen kurzen Moment der Lektüre." Wer auch immer, Stärckle oder Lewinsky, das hier vertritt. Recht hat er.