Rezension

Die Schwalbe und die Bastarde

Der Report der Magd - Margaret Atwood

Der Report der Magd
von Margaret Atwood

Bewertet mit 5 Sternen

Gilead ist eine theokratische Diktatur irgendwo im nordamerikanischen Raum. Frauen sind in strenge Klassen eingeteilt. Ehefrauen, Marthas (Dienstbotinnen) und Mägde. Die Aufgabe der Mägde ist es zu gebären, denn der Großteil der weiblichen Bevölkerung ist unfruchtbar. Der Report der Magd ist die Geschichte von Desfred, ein aufrüttelndes Zeugnis von Unterdrückung und Einschränkung aber auch dem Mut vor dem Ungewissen.

Was ist wohl schlimmer, in einem autoritären Regime aufzuwachsen und nie etwas anderes gekannt zu haben, oder sich an eine Zeit „davor“ zu erinnern? Desfred hatte ein Leben davor, einen Job, einen Mann, ein Kind, einen Namen. Jetzt hat sie nichts, was sie „mein“ nennen möchte. Unter der strengen Aufsicht der Ehefrau, den Wächtern und Tanten, die zur Umerziehung berufen sind, darf sie im alltäglichen Leben nur zum Einkaufen oder Errettungen, wie Hinrichtungen euphemistisch genannt werden, gehen. Das Gewand der Mägde ist rot, von Kopf bis Fuß, wie das Blut, das sie verkörpern. Eine weiße flügelartige Haube verhindert, diesen Frauen direkt ins Gesicht sehen zu müssen. Mägde tragen keinen eigenen Namen, sie führen den Namen ihres Kommandanten mit dem Zusatz „des“: Desfred, Desglen, Deswarren…So sind die Mägde austauschbar, wenn sie ihre Funktion erfüllt haben. Der Fortpflanzungsakt erfolgt im Beisein der Ehefrau, die Geburt eines Kindes ist ein fast öffentliches Schauspiel. Serena Joy, die Ehefrau des Kommandanten erscheint wie ein Fanal an Moral und Tugend, der Kommandant selbst setzt sich über alle Vorschriften hinweg und benutzt Desfred zu eigenen Zwecken. Die Tanten im Umerziehungslager stacheln die Frauen auf, sich für frühere sexuelle Übergriffe selbst die Schuld zu geben.

Desfred erinnert sich immer wieder an ihr Leben zuvor, erst spät im Buch erfährt, wie sich das Regime entwickelt hat. Der Schluss lässt zwar viele Fragen offen, ist aber durch einen Blick in eine weiter entfernte Zukunft sehr gut gelöst. Auch wenn das Buch schon 1985 geschrieben wurde und als ein Klassiker der feministischen Dystopie gilt, ist es erschreckend in seiner Brisanz. Aufrechterhaltung traditioneller Werte vs. sexuelle Verfügbarkeit, einer der mächtigsten Männer westlichen Welt rühmt sich seiner Macht gegenüber Frauen („grab them by the pussy“), Gesetzgebung zur Geburtenkontrolle und Abtreibung liegt immer noch fest in männlicher Hand: Alles was in Gilead in übersteigerter Form passiert, ist nichts, was es nicht gibt. Immer noch.

(Gewünscht hätte ich mir eine kleine Anmerkung zu dem immer wiederkehrenden lateinischen Zitat: „Hirundo maleficis evoltat“, weil der küchenlateinsche Kalauer im Englischen nicht funktioniert. Aber Google ist mein Freund. Im Originaltext steht „Nolite te bastardes carborundorum' was im Dog Latin „Don‘t let the bastards grind you down“ bedeutet. Da gefällt mir die fliehende Schwalbe eigentlich sowieso besser)