Rezension

Nahbar und erschreckend

Der Report der Magd - Margaret Atwood

Der Report der Magd
von Margaret Atwood

Bewertet mit 4 Sternen

Die Freiheit der leibeigenen Frau

„Es gibt mehr als nur eine Form von Freiheit, sagte Tante Lydia, Freiheit zu und Freiheit von. In den Tagen der Anarchie war es Freiheit zu. Jetzt bekommt ihr die Freiheit von. Unterschätzt sie nicht.“

 

Inhalt

 

Desfred trägt wie Ihresgleichen nur auffallend rote Kleider und einen Schutzschirm um ihren Kopf. Sie ist die Dienerin des Kommandanten und bekommt die ehrenvolle Aufgabe, ihm ein Kind zu schenken, denn Nachwuchs ist das Fundament, auf dem der totalitäre fiktive Staat Gilead aufgebaut ist. Alle Frauen bekommen innerhalb der Gesellschaft eine Rolle zugeteilt und erfüllen entsprechend dieser ihre Pflichten und nutzen ihre Rechte. Alternativen gibt es keine, denn entweder man gliedert sich ein oder wird verbannt bzw. hingerichtet. Desfred lebt nun mit der Frau des Kommandanten Serena Joy und seinen Dienstboten in einem Haushalt und wartet auf ihre Befruchtung, erfolgt in einem streng reglementierten Geschlechtsakt unter Anwesenheit der Ehefrau. Doch ungeachtet der Vergangenheit, in der sie einen eigenen Namen hatte, einen eigenen Mann und eine Tochter, fügt sie sich in ihr Schicksal. Doch die Männer, die nun an ihrer Seite sind, wollen ebenso wie sie ein bisschen mehr Freiheit als ihnen zugestanden wird. So unternimmt Desfred in Anwesenheit des Kommandanten verbotene Ausflüge in elitäre Clubs und trifft sich heimlich mit dem Dienstboten Nick, der ihr nun endlich ein Kind machen soll, welches sie an die Ehefrau Serena abgeben muss, die sich nichts sehnlicher wünscht als ein gesundes Baby.

 

Meinung

 

Dieser Roman aus der Feder der aus Kanada stammenden Autorin Margaret Atwood hat nach seinem Erscheinen 1985 bereits für Furore gesorgt und zählt mittlerweile schon zu den Klassikern, die man gelesen haben sollte. Die Autorin selbst bezeichnet ihren Roman als spekulative Fiktion, die durchaus irgendwann zur Realität werden könnte. Beeindruckend wird die Geschichte aber weniger auf Grund der geschilderten Handlungen in einem totalitären Staat, davon gibt es zahlreiche ebenso gute Ideen und schriftstellerische Umsetzungen, sondern durch die Reflexion der Protagonistin, die hier ganz klar ein Vorher-Nachher-Szenario aufzeichnet, dessen Handlungen und Folgen sich erst nach und nach für den Leser offenbaren.

 

Zunächst bin ich mit dem Erzählstil nicht so richtig warm geworden, weil man eben nur Bruchstücke aus der Vergangenheit und Gegenwart erfährt – ein für mich mühseliges Unterfangen, weil einerseits nicht viel passiert, andererseits aber sämtliche Voraussetzungen für den Aufbau der Republik in Nebensätzen verpackt sind. Dieses Vorgehen fand ich für den Lesefluss insgesamt nicht vorteilhaft, manches bleibt eher bruchstückhaft und wenig greifbar. Zwar erfährt man schlussendlich sämtliche Hintergründe, doch dafür muss man wirklich genau lesen und sich in den Staat Gilead „eindenken“. Der Wechsel zwischen den Voraussetzungen und dem täglichen Leben erfolgt dann wieder abrupt und etwas ungelenk.

 

 Doch nachdem ich mich in die Geschichte eingelebt hatte, entfaltet sich ein schockierendes, umfassendes Bild über die Thematik der Unterdrückung, die Kunst der Akzeptanz, der Wille zu Überleben und ganz allgemein die Frage, in wie weit kann der Einzelne einen derartigen Überwachungsapparat unterwandern und ihn zu seinen Gunsten lenken. Letztlich ist es eben doch keine reine Dystopie, sondern hat viele Parallelen zur Realität, wenn auch nicht bis ins letzte Detail. Doch der Grundtenor der staatlichen Reglementierung, der Überwachung und des abgeschafften Rechtssystems ist sehr glaubwürdig und lebensecht beschrieben. Der bleibende Eindruck, den dieser Roman hinterlässt, basiert auch auf der starken Protagonistin Desfred, die letztlich alles verloren hat, was ihr wichtig war und die nun gezwungen ist, sich anzupassen, selbst wenn ihr Bewusstsein dafür enorm geschärft und aufmerksam geworden ist. Letztlich bleibt sie nur eine Marionette im großen Spiel, die alles ertragen muss und was noch viel schlimmer ist, sie ist nur eine von Tausenden.

 

Fazit

 

Ich vergebe 4 Lesesterne für eine schriftstellerische Leistung, die so vielschichtig und nahbar die Schrecken eines aus den Fugen geratenen Regimes vermittelt, dass man als Leser unweigerlich in den Bann des Geschehens gezogen wird. Ungeachtet der Tatsache, dass mich weder der Schreibstil noch die Lebensumstände der Personen wirklich gefangen genommen haben, so liegt der Mehrwert in den sich anschließenden Gedankengängen, die sich unweigerlich einstellen, wenn man versucht den Menschen hinter der Rolle wahrzunehmen. Die Faszination liegt hier im Detail, dort verbirgt sich auch eine tiefe Psychologie der menschlichen Seele, eine ungeahnte Milde gegenüber der Entwicklung und die verborgene Kraft im Herzen einer Frau. Wäre der Erzählstil geradliniger und die Zusammenhänge schneller greifbar gewesen, hätte ich sicherlich noch mehr Freude am Lesen gehabt, so schafft es dieses Buch für mich nicht ganz in die Top-Liga.