Rezension

Dieser Mörder stellt die Body Farm in den Schatten...

Leichenblässe - Simon Beckett

Leichenblässe
von Simon Beckett

Bewertet mit 4.5 Sternen

Originalität / Einfallsreichtum

Als forensischer Anthropologe gewährt David Hunter dem Leser einen spannenden Blickwinkel auf die Geschehnisse, und es ist offensichtlich, dass Simon Beckett die forensische Anthropologie eingehend recherchiert hat. Auch in diesem Band erfährt man so einiges über das, was nach dem Tod mit dem menschlichen Körper geschieht, wobei der Autor gekonnt die Balance hält zwischen ‘zu trocken und wissenschaftlich’ oder ‘zu eklig’.

Obwohl das sicher auch Ansichtssache ist, denn in diesem Band gibt es mehr Leichen in verschiedenen Stadien der Verwesung als je zuvor… Aber ich habe nie den Eindruck, dass das für den billigen Schockfaktor benutzt wird – das hat Beckett gar nicht nötig.

Spannungsbogen

David Hunter ist im letzten Band gerade erst knapp dem Tode entronnen. Er zweifelt an sich und hadert damit, ob er überhaupt weiter in seinem Beruf arbeiten will und kann… Und was macht ein forensischer Anthropologe, wenn er eine Auszeit braucht? Richtig, er besucht die Body Farm in Tennessee und gönnt sich ein paar entspannende Tage, um sich die zahlreichen Leichen anzuschauen, die dort zu Forschungszwecken den Elementen überlassen werden.

Aber lange dauert es nicht, bis Hunters Mentor Tom Lieberman ihn um Unterstützung bei einem Fall bittet, und schon schraubt die Spannung sich stetig in die Höhe. Der Fall hat es in sich – Ted Bundy würde ob der Anzahl an Opfern vor Neid erblassen – und der Autor treibt das wirklich auf die Spitze.

Schlüssigkeit / Glaubhaftigkeit

Gegen Ende fragte ich mich: ist das noch plausibel? Könnte ein Täter so etwas wirklich durchziehen, ohne schon nach kürzester Zeit geschnappt zu werden? Aber ich kam zu dem beklemmenden Schluss: ja, könnte er. Es gibt genug Beispiele im realen Leben, wo auch die schrecklichsten Taten lange unaufgeklärt blieben oder sogar über Monate und Jahre gar nicht auffielen.

Charaktere

Simon Beckett gönnt seinem David Hunter keine Auszeit. In den ersten beiden Bänden der Reihe trug er schon schwer an seiner ganz persönlichen Tragödie, im zweiten Band hätte er sich gar um ein Haar in die Reihe der Opfer eingereiht… Und nun ist er eigentlich am Ende, kann nicht mehr, will nicht mehr, leidet offensichtlich an posttraumatischem Stress – aber darauf nimmt der Mörder keine Rücksicht.

Hunter ist wieder der stärkste Charakter: wunderbar geschrieben, glaubhaft, hochintelligent, komplex. Neben ihm verblassen die Nebencharaktere etwas, doch auch die sind beileibe nicht schlecht geschrieben.

Schreibstil

Der Schreibstil beeindruckt mich in jedem Band wieder mit seinem perfekten Gleichgewicht. Oft ist er klar, sachlich, geradezu nüchtern, und dann beschwört er wiederum mühelos eine starke Atmosphäre herauf.

FAZIT

Der dritte Band der Reihe wartet mit einer Anzahl von Leichen auf, bei der man schon mal ungläubig schlucken kann – und dennoch ist es kein Thriller, der auf billige Schockmomente setzt. Simon Beckett überzeugt mich immer wieder mit seinen komplexen Fällen, seiner intelligenten, scharfsinnigen Schreibe und seinem vom Leben gebeutelten Protagonisten David Hunter.

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/2019/06/10/rezension-simon-beckett-leich...