Rezension

Ein kunterbunter Road-Trip mitten durch die 90er

Minigolf Paradiso - Alexandra Tobor

Minigolf Paradiso
von Alexandra Tobor

„Genaueres weiß man nicht, die Wissenschaft hat meine Krankheit nämlich noch nicht erforscht. Vielleicht wird sich das mal ändern und ich gehe als „spektakulärer Fall der 16-jährigen Malina Dudek“ in die Lehrbücher der Geschichte ein. Aber dafür müsste die Fachwelt erst mal auf mich aufmerksam werden, und genau hier liegt das Problem: Ich leide an chronischer Unsichtbarkeit.“ Zitat S. 9

Mit diesen Worten beschreibt Malina sich selbst. Sie hört düstere Musik und liest melancholische Literatur. Sie schreibt Briefe an ihren einzigen Freund Titus, leider verweilt der einstige Punk schon auf dem Friedhof. Ihre Eltern sind mit ihr von Polen nach Deutschland ausgewandert und sie leidet unter der zwanghaften Anpassung ihrer Mutter. Ihre polnische Abstammung kann sie kaum verleugnen, aber ihre Mutter verwehrt ihr jegliche Information über ihre Verwandtschaft.

Im Sommer 1997 ist es dann soweit. Malina`s Eltern verreisen nach Holland und das Mädchen findet heraus, das ihr tot geglaubter Opa Alois Dudek noch lebt und zwar hier in Deutschland, genauer gesagt Castrop-Rauxl, praktisch bei Malina um die Ecke. Er tingelt durch Fernsehshows und tummelt sich als Losbudenverkäufer auf Kirmesplätzen. Dort macht Malina ihn schließlich auch ausfindig.

Ihr Opa, nennt sich nun Aldi und tischt ihr eine unglaubliche Lebensgeschichte auf. Er hat Schulden, viele Gläubiger im Nacken, lebt auf einer heruntergekommenen Minigolfanlage und treibt Malina in kürzester Zeit schier in den Wahnsinn.

Trotzdem begeben sich beide auf einen turbulenten Trip nach Polen. Alois will einen vergrabenen „Schatz“ finden und Malina endlich ihre Oma wiedersehen. Findet sie in ihrer alten Heimat zu sich selbst und findet sie die Wahrheit über die Entzweiung ihrer Familie heraus?

„Denn eines habe ich begriffen: Man kann das Leben nur rückwarts verstehen, aber leben muss man es vorwärts. Das hat ein Typ namens Kierkegaard gesagt.“ Zitat S. 255

 

Die Autorin Alexandra Tobor schuf hier einen richtig herrlich-schrägen und unterhaltsamen Road-Trip nach Polen. Sie punktet mit dem sarkastischen Humor ihrer Hauptprotagonistin und dem chaotischen Aldi, eine Mischung aus Peter Pan und Münchhausen. Er lässt nicht nur seine Enkelin verzweifeln, sondern auch den Leser mit dem Kopf schütteln, dennoch drückt man ihm zuliebe oftmals ein Auge zu.

Der Roman beinhaltet jedoch nicht nur die Suche einer Jugendlichen, nach sich selbst, sondern der Leser erlebt selbst eine Reise in die Vergangenheit und zwar quer durch die 90er. Das Ambiente dieser Ära wurde hier punktgenau getroffen und lässt einen in Erinnerung schwelgen.

Man begleitet Malina auf ihrem Weg in ein neues Selbstbewusstsein und Lebensgefühl. Sie verliert nie ihr Ziel vor Augen, muss auf ihren durchgeknallten Opa acht geben und kuriose Ereignisse meistern. Gar nicht so einfach,so ganz ohne Reisekasse, sich im Rahmen der Legalität zu bewegen. Doch Malina beweist viel Kreativität und Einfallsreichtum und steht bald ihrem Opa in nichts nach. 

Alexandra Tobor beweist ein echtes Händchen für Situationskomik, schrägen Dialogen und jeder Menge Zwischentöne hinter den Zeilen. Sie zeigt gekonnt, an welcher Stelle der Mensch das Schicksal aktiv beeinflußen kann. 

Der Bezug der Autorin zu Polen ist hier auch unverkennbar. Die Lebensumstände, die Kultur und die Mentalität, vor allem der Hang zum Aberglaube ist realitätsnah und unbeschönigt dargestellt.

Auch wenn diese Story mit viel Humor aufwartet, bietet sie auch viel Raum zum Nachdenken und zeigt auf wie prägnant die Wurzeln für einen Menschen sein können. Jeder hat ein Recht darauf zu erfahren, wer er wirklich ist!

Ich kann hier eine uneingeschränkte Leseempfehlung für jung und alt aussprechen. Die Jungen können sich an der Nostalgie der 90er erfreuen und die Älteren einen Blick in die Retrospektive vergangener Zeiten werfen.

 

5 Sterne für diesen wundervollen Roman von mir.