Rezension

Ein Leben = sieben historische Großereignisse

Bournville -

Bournville
von Jonathan Coe

Bewertet mit 5 Sternen

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Mary Clarke verheiratete Lamb. Sie erlebt das erste Ereignis, nämlich die Feiern zur siegreichen Beendigung des Zweiten Weltkriegs von englischer Seite noch als Kind, dann begegnen wir ihr als Braut, später als Ehefrau, Mutter und Großmutter, wobei sie längst nicht die einzige Protagonistin ist. Aber die stringenstete. Um sie herum ranken sich Bezugspersonen - vor allem ihre Lieben aber auch nicht ganz so Lieben, denn Verwandte und Nachbar kann man sich ja zumeist nicht aussuchen. Das alles  bzw. der Kern des Geschehens findet statt  in Middle England, einem der englischsten Teile des Landes, aus dem der Autor Jonathan Coe selbst stammt.

Wie auch der Vorgänger "Middle England", in dem es um den Brexit ging, hat mich dieser deutlich breitläufiger angelegte Roman absolut begeistert. Jonathan Coe ist einer der wenigen Autoren, die mich dazu bringen, ein Buch nicht aus der Hand zu legen, bis ich es durchgelesen habe.

Oftmals findet sich - wie so oft bei Coe - die Familie auf verschiedenen Seiten politischer oder gesellschaftlicher Entscheidungen - diesmal erleben wir Deutschen sogar das aus unserer Sicht so ungerechte Endspiel der WM 1966 aus der englischen Perspektive, die ihre deutsche Verwandtschaft zu diesem Anlass zu Besuch hat.

Wieder hat Coe einen auf zurückhaltende Art sehr emotionalen Roman geschrieben, bei dem ich als Leserin - ja, auch ich habe englische Verwandtschaft - nicht selten überlegte, welche Position ich denn hier wohl einnehmen würde.

Nun, nach Beendigung meiner Lektüre,  habe ich das Gefühl, ähnlich wie vor einigen Jahren bei der Lektüre von "Middle England" und davor von John Lanchesters "Kapital", den Briten ein wenig näher gekommen zu sein. Im Gegensatz zu den beiden vorherigen kann ich die Briten diesmal oft sogar verstehen. Ihren Humor bzw. den des Autors, der diesmal ganz besonders schalkhaft aufblitzt, ganz besonders.

Auf jeden Fall ein lesenswertes, ein eindringliches Buch - eine literarische Dokumentation unserer Zeit - und für die Jüngeren und Mittleren auch der Zeit direkt davor.