Neuere Geschichte aus englischer Sicht
Bewertet mit 4 Sternen
Der Roman Bournville von Jonathan Coe hat mit "Ein großes Familienepos, das Erinnerungen weckt und uns lachen lässt - humorvoll, melancholisch und berührend." nicht zuviel versprochen. Die Kapitel decken, mit Zeitsprüngen, die Geschichte vom 8. Mai 1945 bis zum 8. Mai 2020 ab. Und damit vom Ende des 2. Weltkriegs bis zu den ersten Lockerungen nach dem Coronaausbruch (bzw. bis zum 75. Jahrestag des Kriegsendes). Und da aus englischer Sicht geschrieben, geht es in den anderen fünf Kapiteln um die Krönung von Elizabeth II., England vs. BRD in Wembley 1966, Investitur von Charles als Prinz of Wales, die Hochzeit von Charles und Diana und die Beisetzung Dianas.
Die historischen Ereignissen liefern in der Regel den Hintergrund zu Familienereignissen. Und in dieser Famillie hat Coe verschiedenste Vertreter der britischen Gesellschaft zusammengebracht. Einen roten Faden bietet die Lebensgeschichte von Mary Lamb, aber auch ihre Söhne und auch die Enkelin Lorna sowie andere Verwandte spielen eine Rolle (hier war der Stammbaum am Anfang des Buchs hilfreich).
Mit eigenen England-Erfahrungen im Hinterkopf habe ich einiges wiedererkannt, manchmal blieb ich aber auch in der Übersetzung hängen - den nächsten Coe auf jeden Fall auf Englisch. Für mich war es das erste Buch von Jonathan Coe, so war ich auch überrascht, dass der Stammbaum der Familie Verweise auf weitere Romane enthielt. Ich brauchte dann auch etwas, um mit dem Buch warm zu werden, am Ende hat mir aber die große Vielfalt an Personen und damit verbundenen Sichtweisen und auch die Vielfalt an Schreibstilen (aus Sicht der jeweiligen Person, teilweise Anmerkungen des Autors, teilweise Auszüge aus Quellen, teilweise Tagebucheinträgn) gefallen. Und Coe baut im Text immer wieder Parallen auf, so zerfasert sein Roman nicht, sondern nimmt immer wieder (mal direkter, häufig indirekt) auf sich selbst Bezug.
Ich bin mir unsicher, ob das Buch ohne aktiven England-Bezug des Lesenden auch den Reiz entfalten kann, den es für mich hatte. Für mich wird es, trotz anfänglicher Skepsis, wohl nicht das letzte Buch von Jonathan Coe bleiben.