Rezension

Ein starker Roman mit einem sehr berührenden Schluss

Erschütterung -

Erschütterung
von Percival Everett

Bewertet mit 5 Sternen

Ich mag die Erzählerstimme dieses Romans: den Tonfall, die Offenheit, mit der eigenes falsches Tun zugegeben wird, Widersprüchlichkeit im Verhalten oder zwischen Empfinden und Verhalten zur Sprache gebracht wird. Es ist die Stimme von Zach Wells, Prof. für Geologie/Palöobiologie, Afroamerikaner, ein nicht immer freundlicher, gegenüber anderen oft schroffer Mensch, der auch mal zugibt, dass er ein »Arschloch« war, der in seinem Beruf mäßig zufrieden ist, die Fossilienfunde aus einer Höhle, die einen Teil seiner Arbeit bestimmen, nicht zu wichtig nimmt, die Lehre routiniert abwickelt. Auch in Bezug auf seine Ehe kann man von »mäßig zufrieden« sprechen – wobei Gefühle füreinander bei beiden, ihm wie seiner Frau Meg, noch da sind. Das Wichtigste für Zach Wells ist seine 12-jährige Tochter Sarah, die er sehr liebt – dies ist es, was ihm das Leben lebenswert sein lässt.

Die »Erschütterung«, die sein Leben – wie auch das seiner Frau – durchdringt, ergibt sich aus der Diagnose einer schweren Erkrankung Sarahs, der niemand mehr helfen kann. Leser und Leserin erleben, wie alles im Leben von Zach von diesem Geschehen geprägt ist, wie er damit umgeht, genauer: nicht umgehen kann.

Ein Hauch von einem Hinweis auf andere, die Hilfe brauchen, führt dazu, dass Zach sich in ein eigentlich unsinniges Unternehmen stürzt, nach dem Motto: wenn ich schon Sarah nicht helfen kann … und so könnte ich etwas tun … und mir selbst helfen. Der Schluss des Romans ist sehr berührend – was der Autor mit nur ganz wenigen Worten erreicht. Everett hat einen Roman geschrieben, dessen Protagonisten und Geschichte der Leserin/dem Leser noch länger nachgehen werden.

Ich hatte von Percival Everett noch nie etwas gehört und ließ mich von der schönen Würdigung von Autor und Buch durch Frank Rudkoffsky im Büchergilde-Magazin 3/2022 (»Retten, was zu retten ist«, S. 25 f.) zur Lektüre bewegen. Ich habe es nicht bereut.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 24. Juli 2022 um 23:33

Man merkt, dass du selber mitgenommen bist von dem Schicksal. Schöne Rezension.

Steve Kaminski kommentierte am 25. Juli 2022 um 15:24

Danke für Deinen Kommentar!