Rezension

Eine fluffig-leichte Unterhaltungslektüre die mit viel Humor die biedere Zeit des 19. Jahrhunderts zum Leben erweckt.

Effi liest - Anna Moretti

Effi liest
von Anna Moretti

1894. Die junge Effi soll in einem Pensionat zu einer vornehmen Dame erzogen werden, um in die Gesellschaft eingeführt werden zu können und einen passenden Ehemann zu finden. Bei der Erziehung dort erhält sie jedoch keinerlei Einblick in die näheren Details, die das Eheleben mit sich bringen werden. Als Effi eines Tages bei einem Ausflug ein Buch mit unsittsamen Inhalt enteckt und von ihrer Lehrerin damit erwischt wird, muss Effi vorzeitig die Schule verlassen und zu ihrem Vater nach Berlin heimkehren. In Berlin hofft Effi Antworten auf ihre zahlreichen Fragen zu finden. Doch kaum zu Hause angekommen reist auch schon ihre Tante an, um die weitere Erziehung der Achtzehnjährigen zu übernehmen.

Bereits die Ähnlichkeit des Buchtitel »Effi liest« mit Theodor Fontanes Klassiker »Effi Briest« lässt Rückschlüsse auf die zeitgebende Epoche des Romans zu. Genau wie der berühmte Klassiker spielt auch Anna Morettis Geschichte zum Ende des 19. Jahrhunderts in einer Zeit, die durch Prüderie ebenso sehr wie durch wissenschaftlichen Fortschritt und fortschreitende Industrialisierung geprägt ist. Die Gestaltung des Covers mit einer feinen Damensilhouette (auch Scherenschnitt, der sich im 19. Jahrhundert in Deutschland einer großen Beliebtheit erfreute) vor dem Hintergrund des Brandenburger Tores in Berlin passt hervorragend zur Geschichte.

Bei Anna Moretti handelt es sich um ein Pseudonym für die deutsche Autorin Mara Andeck, welche bereits mehrere Bücher im Bereich der Jugend- und Frauenliteratur veröffentlichte. Mit »Effi liest« betritt die Schriftstellerin nun das Terrain einer romantischen Komödie zu einer faszinierenden Zeit, die gesellschaftliche Gepflogenheiten mit sich bringt, über die man heute nur noch lächeln kann. Der perfekte Nährboden für eine heitere Lektüre ist gegeben und wurde zusätzlich mit fein gezeichneten und sehr lebhaft dargestellten Protagonisten bestückt.

Elena Sophie von Burow, kurz Effi, ist die Heldin des Romans und wächst mit ihrer neugierigen und unaffektierten Art schnell an das Leserherz. Mutig und zielstrebig schlägt sich Effi auf ihrem Weg zu mehr Wissen, Aufgeklärtheit und Emanzipation durch die von Männern dominierte Welt.

Dabei werden ihr die unterschiedlichsten weiblichen Charaktere zur Seite gestellt wie z. B. Fräulein Grimaud, Effis Lehrerin am Pensionat, die ich mir bildhaft vorstellen konnte, mit ihrer sauertöpfischen Miene und einem unter der Oberfläche brodelndem Temperament, wenn sich ihre Schützlinge mal wieder daneben benehmen. Als sie mit einem dampfenden Zug verglichen wird, konnte ich fast nicht mehr an mich halten. Noch viel besser gefallen hat mir Effis Tante mit ihrer skurrilen, verzückenden und strengen Art, die jedoch keinerlei Zweifel an der Liebe zu ihrer Nichte lässt.

»Was ist so schlimm an einer Praline, die weiß, wofür sie raschelt?« fragt Effis beste Freundin und Vertraute Betty ganz zu Recht und stößt damit ein wichtiges Thema des Romans an. Frauen werden aufgrund der von Männern angenommen zarten Konstitution ihres Geschlechts nicht für voll genommen und erhalten nur Zugang zu einem begrenzten Wissen. Die jungen Damen von gutem Stand bereiten sich somit auf ein Leben als Ehefrau vor und können nur Mutmaßungen darüber anstellen was in der Ehe tatsächlich auf sie zukommt. Das einzige, was ihnen mit auf den Weg gegeben wird, sind eine gute sittsame Erziehung und die Förderung der Talente wie z. B. Malen, Musizieren und Sticken.

Effi entdeckt durch Zufall ein wissenschaftliches Buch über den Genuss, doch bevor sie mehr über den darin beschriebenen Liebesakt in Erfahrung bringen kann, wird die Lektüre konfisziert und als Konsequenz daraus wird sie kurzerhand des Pensionates verwiesen, um nicht noch andere Mädchen mit ihrem vermeintlichen Wissen und unsittsamen sowie neugieren Verhalten zu verderben.

Zusammen mit zwei Freundinnen setzt sie alles daran an das Buch zu gelangen, schließlich kann sich Effi nicht vorstellen warum manches Wissen nicht für Frauen zugänglich, ja sogar schädlich sein sollte, vor allen Dingen wenn es sie selbst betrifft. Im Zug zurück nach Berlin lernt sie den jungen Arzt Max von Waldau kennen, der sie unwillkürlich in ihrer Annahme bestätigt. Aus diesem Ausgangspunkt entspinnt sich ein herrlich humorvoller Plot, der mich trotz der vorhersehbaren Storyline gebannt an die Seiten fesselte, so dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Die Geschichte wird zum größten Teil aus Effis Perspektive ich der Ichform erzählt und mit Briefen von Max von Waldau an seinen jüngeren Bruder unterbrochen, aus denen die Erforschung der Medizin zur damaligen Zeit bildhaft dargestellt wird und man das Gefühlsleben des Arztes mitverfolgen kann. Der Einfluss und die Meinung anderer Mediziner wie Sigmund Freud und Wilhelm Fließ wird dabei stark mit einbezogen und sorgt aus heutiger Sicht für einige Lachtränen. Der Ernst der Situation zur damaligen Zeit wird allerdings mit dem historisches Beispiel einer Nasen-Operation an Emma Eckstein durch Fließ untermauert.

Jedes Kapitel wird mit einem Zitat aus der Zeit des Romans eingeläutet. Sehr treffend fand ich die Worte der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach.

Anna Moretti überzeugt in ihrem Roman »Effi liest« mit viel Humor, einem Schreibstil der perfekt zum Zeitrahmen ihrer Geschichte passt und fängt dabei die gesellschaftlichen Konventionen und Regeln dieses prüden Jahrhunderts ein, in dem Frauen zwar wie süßes Konfekt herausgeputzt werden und mit ihren Röcken für die Männer rascheln sollen, dabei aber nicht wissen dürfen was in ihrem eigenen Körper vor sich geht.