Rezension

Lehrreich, interessant und lustig

Effi liest - Anna Moretti

Effi liest
von Anna Moretti

Bewertet mit 4.5 Sternen

Berlin, 1894. Alles beginnt mit einem Buch, das die achtzehnjährige Elena Sophie von Burow, genannt Effi, zufällig entdeckt. Der Inhalt ist so skandalös, dass Effi aus ihrem vornehmen Pensionat fliegt, noch bevor sie die erste Seite gelesen hat. Sofort reist ihre Tante an, denn es ist wohl höchste Zeit, Effi in die Gesellschaft einzuführen und einen Ehekandidaten zu finden. Effi hingegen sucht Antworten auf ihre Fragen. Ob der junge und sehr sympathische Arzt Maximilian von Waldau Effi weiterhelfen kann?

Das ist eines der lehrreichsten und interessantesten Bücher, die ich dieses Jahr lesen durfte. Der Roman beginnt noch vor der Handlung vielversprechend: in einer Art Zeittafel werden medizinische und literarische Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, oft mit einem kleinen Augenzwinkern, beschrieben. Jedes neue Kapitel beginnt außerdem mit einem Auszug aus einem damaligen Roman oder, besonders amüsant, diversen Frauenratgebern wie dem Conversationslexikon für Frauen; beendet werden die Kapitel - ausschließlich aus Effis/Elenas Perspektive erzählt - mit einem Brief des jungen Arztes Maximilian an seinen Bruder. 

Effi ist eine junge Frau aus gutem Hause. Sie fliegt kurz vor dem Abschluss von ihrem Pensionat, weil sie ein Buch findet, welches menschliche Genüsse aller Art - darunter auch die physischen - behandelt. Im prüden ausgehenden 19. Jahrhundert ein Unding. Zum Glück ist Effis Vater sehr tolerant, und sie treffen eine Vereinbarung: die forsche, wissbegierige Effi darf Medizin studieren, wenn sie zur Vorbereitung Latein paukt und sich im Gegenzug von ihrer Tante in klassischen Damensachen ausbilden lässt (Konversation, Benehmen etc.). Wie der Zufall es will, zieht der Arzt Maximilian, den Effi auf ihrer Heimreise getroffen hat und dem sie recht zugetan war, bald in nächste Nähe. Maximilan steht unter der Fuchtel des (realen) Dr. Wilhelm Fließ, der wiederum mit (dem echten) Siegmund Freud in Kontakt steht. Die beiden Männer haben eine unglaubliche Theorie aufgestellt, die kurzgefasst in etwa so lautet: Frauen, die in der Nähe von Männern zu Nies- und Schnupfenanfällen neigen, hegen heimlich unziemliche Gedanken. Um einer Hysterie (damals das psychische Frauenleiden schlechthin, mit geradezu wahnwitzigen Erklärungen zur Ursache) vorzubeugen, empfiehlt es sich, Erkrankte an der Nase zu operieren. Und Effi muss in Maximilians Nähe sehr oft niesen und erleidet im Laufe der Handlung einen immer übleren Schnupfen. Dr. Fließ bangt um Effis moralisches Heil und will schnellstmöglich operieren. Maximilian aber hat sich natürlich längst in Effi verliebt und ist hin und her gerissen zwischen medizinischer Überzeugung und Liebe. 

Das Buch liest sich wirklich sehr gut und flüssig, der Ton ist leicht und anspruchslos. Das wirklich Spannende hier sind die kruden medizinischen Hintergründe, die damals wirklich der letzte Schrei waren. Es lohnt sich auch, das Nachwort der Autorin zu lesen, in dem sie noch einmal recht ausführlich, aber leicht verständlich auf die realen Hintergründe eingeht. Was in dem mit "Eine romantische Komödie" untertitelten Roman so vor sich geht, wird oft schmunzelnd und in lässigem Ton erzählt, und sehr häufig muss man einfach lachen. Wenn man aber alles angesprochene und beschriebene noch einmal überenkt, ist man wirklich schockiert.

Einen halben Stern Abzug gibt es für die sprachliche Gestaltung: hier ist einiges an ungenutztem Potential. Vieles ist sehr schnell "runtergeschrieben", die Sprache und Ausdrucksweise der Protagonistin passt überhaupt nicht in die Zeit (es ist alles in einem saloppen, lustigen Ton geschrieben). Wäre ein anderes Thema behandelt worden, eine einfache Liebesgeschichte z.B., ich hätte nach den ersten Seiten nicht weiter gelesen. Aber wegen der historischen Hintergründe lohnt es sich wirklich, einmal zu etwas "seichterer" Lektüre zu greifen, denn hier wird man trotzdem reich belohnt!