Rezension

Eine Jugend auf Sand gebaut

Das Leben vor uns -

Das Leben vor uns
von Kristina Gorcheva-Newberry

Bewertet mit 5 Sternen

Ein großes Leseerlebnis!

Anja und Milka sind zwei Teenager, die Musik und Jungs im Kopf haben. Die aber auch über Politik und Literatur diskutieren und sich auf die Zukunft freuen, auf die Zeit, wenn sie endlich erwachsen sind. Aber sie werden in der Sowjetunion der 80er Jahre erwachsen; in einem Umfeld, das noch von der Revolution, dem Krieg, der Angst vor der Tyrannei von Lenin und Stalin und der allgegenwärtigen Mangelwirtschaft geprägt ist. In all diesem Chaos des eigenen Lebens und dem Chaos um sie herum, halten Anja und Milka zusammen. Sie verbringen herrliche Sommer in der Datscha der Eltern, feiern und treffen sich mit Jungs. Aber der Zusammenbruch der Sowjetunion geht auch an den Mädchen nicht spurlos vorüber.

Kristina Gorcheva-Newberry hat einen fulminanten Debütroman geschrieben. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden hinter dem eisernen Vorhang. Voller kluger Sätze, voller Widersprüche und Zerrissenheit. Es wird ein Einblick in die "russische Seele" gegeben und das in wunderbar bildhafter Sprache.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, das nicht nur eine besondere Coming-of-Age-Story enthält, sondern - aktueller denn je - auch stark die Politik des Landes thematisiert. Dies kann in einer Geschichte, die im Zeitalter von Glasnost und Perestroika spielt, auch gar nicht anders sein. Während wir im Westen voller Freude die Politik von Generalsekretär Gorbatschow begrüßt haben, sahen die Sowjetbürger zerfallen, woran sie Jahrzehnte geglaubt hatten. Ihre völlige Orientierungslosigkeit versteht die Autorin gekonnt abzubilden. Die beiden Mädchen und ihre Freunde stehen für die verlorene Jugend dieser Zeit, deren Zukunft so verheißungsvoll begann, aber offene Grenze sind nicht alles.

Der Roman hat wunderbare helle Momente, ist aber grundsätzlich von einer eher traurigen und melancholischen Stimmung geprägt. Der im Zentrum der Geschichte stehende Apfelgarten von Anjas Eltern spiegelt den gesamten Roman wider und steht zudem in enger Verbindung zu Tschechows Theaterstück "Der Kirschgarten". Leider wurde der englische Originaltitel "The Orchard" nicht wörtlich übersetzt - schade.