Rezension

Eine leidenschaftliche und tolle Hommage an das (von Hand) geschriebene Wort...

Der schönste Grund, Briefe zu schreiben
von Ángeles Doñate

Bewertet mit 4.5 Sternen

Dieser wunderschöne Roman erschien im Thiele Verlag (2016), der lt. Herausgeber "gerne Bücher veröffentlicht, die ins Herz treffen" - und die Seele berühren: Mit Ángeles Donate's Début "Der schönste Grund, Briefe zu schreiben" (übersetzt aus dem Spanischen von Anja Rüdiger) ist dem Verlag dies vortrefflich gelungen!

"In dem kleinen Ort Porvenir zieht der Winter mit einer schlechten Nachricht ein: Das über hundert Jahre alte Postamt soll geschlossen werden, da es sich in Zeiten von E-Mail und sozialen Netzwerken nicht mehr zu lohnen scheint und das Briefeschreiben sowieso aus der Mode gekommen ist. Eine Hiobsbotschaft für Sara, die rothaarige Postbotin und alleinerziehende Mutter, die nun nach Madrid versetzt werden soll. Und eine Katastrophe für die 80jährige Rosa, die in der sympathischen Frau und ihren drei kleinen Kindern eine Familie gefunden hat.
Doch dann hat die alte Dame eine Idee, die alles vielleicht noch retten könnte: Sie schreibt einen Brief, der ihr schon seit 60 Jahren auf der Seele brennt, und eröffnet damit einen Reigen außergewöhnlicher Briefe, die von ganz unterschiedlichen Menschen verfasst werden und eines gemeinsam haben: Sie landen alle auf dem Postamt von Porvenir." (Quelle: Klappentext)

Meine Meinung:

Die Arbeitsstelle von Sara in dem kleinen spanischen Ort Porvenir (Zukunft) ist bedroht: Da das Postvolumen nicht gerade sehr umfangreich ist und kaum Briefe zugestellt werden in dem 1000-Seelen-Örtchen, überlegt der Arbeitgeber, Sara nach Madrid zu versetzen: Aus dieser Not heraus (die mir recht real erscheint) wird die Idee Rosa's geboren, eine Kette von Briefen zu beginnen, um die Nachbarin und Freundin, die sie zeitlebens kennt, vor dieser Versetzung zu bewahren - und eine geniale Romanidee nimmt ihren Verlauf.....

Der Reigen der Briefe verändert zuweilen das Leben all der Verfasser und auch Empfänger, die in diese Briefkette involviert werden: Da ist Alma, die 23jährige Enkelin von Luisa, die das Haus ihrer Großmutter in Porvenir erbte und - zum Leidwesen ihrer Eltern - versucht, dort einen Weg in ihre Zukunft und ins eigene Leben zu finden; da ist Álex, der nicht wie all' seine Freunde zum Studium längst aus Porvenir fort ging, sondern bei seinem an Alzheimer erkrankten Vater blieb und seine Reisen in Büchern unternimmt... Es gibt Menschen mit bizarren Berufen (Manuela), die erstmals erkennen, dass es Freude macht, sich um andere Menschen zu kümmern und Hypatia, die - selbst kaum des Schreibens mächtig, Hilfe in der Briefkette vom Enkel erfährt.... Jede Figur wird von der Autorin gut ausgeleuchtet und sehr emotional beschrieben, wobei auch die Schattenseiten des Lebens der Protagonisten nicht ausgespart werden. Mit jedem Brief breitet sich also dem Leser eine weitere, nicht immer glückliche Lebensgeschichte vor dessen geistigem Auge aus: Das Wundervolle an dieser Geschichte ist die Wirkung, die jeder dieser Briefe auf den jeweiligen Empfänger hat - und die wirklich kluge und leidenschaftliche Darstellung dieser Wirkung, die ein Brief auf einen Menschen haben kann: So vermögen Briefe zuweilen eine fast therapeutische Wirkung bei den Protagonisten zu erzielen: Sie wirken Starre und Vereinsamung entgegen, können  Alkoholprobleme und Heimweh lindern und - sogar das Selbstwertgefühl fördern: Wer sehr gut kochen kann, muss nicht zwangsläufig auch sehr gut schreiben können (Hypatia); so können Briefe auch eine 'erleichternde' Funktion haben, wenn es um Gefühle der Trauer und des Verlusts geht.

Alma, die entgegen ihres Plans, nur kurz in Porvenir zu bleiben und das Haus ihrer Großmutter verkaufen zu wollen, bleibt in diesem schönen Ort, findet die Liebe ihres Lebens und gründet einen Leseclub mit einer von ihr sehr verehrten Schriftstellerin als Schirmherrin: Auch eine alte Schuld zwischen zwei Frauen kann nach mehr als 60 Jahren durch die Enkelin von Luisa beglichen werden: Der Roman lebt von schönen Ideen, die sich in Zukunftsplänen einer "Residenz für angehende Schriftsteller" z.B. äußern, einem ganz besonderen Geburtstagsfest und einer Liebe, die - lange Zeit als Chat in der Mittagspause initiiert (auch die E-Mail spielt eine Rolle, wenn auch nur untergeordnet) einem alten Freund auf einer norwegischen Bohrinsel wieder festen Boden unter den Füßen gibt....

Ein wundervoller Roman, dessen Kreise sich durch die Kette von Briefen immer wieder schließen, der Kraft und Zuversicht ausdrückt und eine Liebeserklärung an die Macht des (hand)geschriebenen Wortes ist; besonders gut gefielen mir die Zitate namhafter Schriftsteller, die vor jedem Kapitel zu lesen sind und der mäandrisch verschlungene Inhalt, der  immer wieder zu einem stimmigen Bild wird: Einzig ein paar kleine 'Ecken und Kanten' hätten die Protagonisten haben dürfen, diese haben mir ein wenig gefehlt.

Fazit:

Ein wirklich sehr gelungener, stimmiger, zutiefst menschlicher und emotional geschriebener Roman um die Macht der Wörter, der Literatur, der Poesie - und der von handgeschriebenen Briefen: Vorsicht, er regt den Leser an, selbst wieder mehr Briefe zu schreiben und zu Papier und Feder zu greifen ;) Mit meinem neu erworbenen Füller (gekauft in einem Laden dieses Namens) und dem neuen Briefpapier kann ich dann gleich loslegen - da ich ohnehin Briefe sehr mag - und zwar sie zu schreiben und auch, welche zu bekommen; zuvor aber vergebe ich 4,5 Sterne an die Autorin und den Thiele-Verlag und bedanke mich für zauberhafte Lesestunden!