Rezension

Eine Liebe zwischen den Fronten des Nahostkonflikts

Ismaels Orangen - Claire Hajaj

Ismaels Orangen
von Claire Hajaj

Bewertet mit 4.5 Sternen

Jaffa im Britischen Mandatsgebiet Palästina 1948: Für den siebenjährigen Salim Al-Ismaeli dreht sich alles um seinen Orangenbaum auf der Familienplantage, Fußball und Freunde. Seine unbeschwerte Kindheit endet mit dem Einmarsch der jüdischen Truppen und der Flucht der Familie zu Salims Schwester nach Nazareth. Als später auch seine Mutter mit dem jüngeren Bruder die Familie verlässt, sehnt sich Salim mit jeder Faser seines Seins danach, den Orangenhain und das Haus wieder in seinen Besitz zu nehmen. Doch zunächst geht er zum Studium nach London. Es sind die Swinging Sixties und Salim distanziert sich von seiner Heimat. Er lernt Jude (Judit) kennen, deren Großeltern ebenfalls Flucht und Verteibung kennen: Erst die Flucht vor Pogromen, dann vor dem Holocaust. Trotz aller Hindernisse verlieben sich Jude und Salim und schwören sich, dass die Konflikte ihrer Herkunftsnationen ihnen nichts anhaben können. Salim wird das Orangenhaus jedoch niemals loslassen können....

Eine Liebesgeschichte, bei der sowohl Juden als auch Palästinenser zu Wort kommen, ihre Sicht der Dinge haben und es kein wirkliches Gut und Böse gibt, mit dem historischen Hintergrund des Nahostkonfliktes? Die Autorin Claire Hajaj hat sich viel vorgenommen, hat aber eine ähnliche Familiengeschichte und setzt beide Positionen meist gut um.

Sie zeigt, dass es auf beiden Seiten Fanatiker gibt (Hassans Bruder und Judits Onkel, der glaubt: „Frieden ist die Seite der Verlierer“) und entscheidet sich nicht für eine Seite. Mit zunehmender Dauer der Handlung klang es für mich  unterschwellig so, dass Claire Hajaj etwas mehr zur Palästinenser-Seite tendiert, auch wenn Salim einige negative Seiten entwickelt. Damit konnte ich gut leben.

Salim ist ein widersprüchlicher Charakter, der im späteren Leben auch seine fiesen Seiten zeigt: Er hat den Verlust der Heimat nie ganz verwunden, sieht in jedem beruflichen Rückschlag Ressentiments gegen sich als Person (weil er nicht aus dem Westen ist) und hat diese unterschwelligen Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den Juden/Europäern und kommt überhaupt nicht mit seinem Sohn klar. Marc ist für ihn ein Schwächling, widerspricht seinem „arabischen“ Mannesbild. Das alles ist sehr menschlich und gut geschildert, machte es aber oft schwer für mich, mich mit Salim zu identifizieren.

Jude kommt zu Beginn als sehr starker Charakter daher. Sie wird in der jüdischen Tradition erzogen und auch sie kann ihren Glauben nie ganz abschütteln, aber mehr als Salim. Mit zunehmendem Fortschreiten der Handlung kam mir Jude aber mehr und mehr wie eine Nebenfigur vor, sie wirkt sehr passiv.

Ein weiterer kleiner Kritikpunkt ist die Veränderung von Marc. Seine psychischen Probleme kamen irgendwie aus dem Nichts und wirkten konstruiert auf mich.

Alles in allem ein guter Roman: wer etwas über das Leben in Palästina bzw. Israel und die Geschichte der Region erfahren möchte, über das Schicksal der vertriebenen Palästinenser und wer hinter die Kulissen schauen möchte, dem kann ich den Roman trotz kleiner Schwächen empfehlen. Auch die Liebesgeschichte zwischen Salim und Jude konnte mich für sich gewinnen.