Rezension

Eine mitreißende Biografie einer unzeitgemäßen, zu Unrecht vergessenen Schriftstellerin

Franziska zu Reventlow - Kerstin Decker

Franziska zu Reventlow
von Kerstin Decker

Bewertet mit 5 Sternen

Franziska zu Reventlow wusste schon früh, dass sie nicht in ihre Zeit passt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es für höhere Töchter nicht viele Möglichkeiten für ein Leben – ein eigenes schon gar nicht. Von ihrer Familie nie verstanden befreit sie sich gewaltsam von ihren Erwartungen, gesellschaftlichen Konventionen und nicht zuletzt der (finanziellen) Sicherheit. Sie ist frei, doch um einen hohen Preis. In ihren Augen war er nicht zu hoch. Rückhaltlos wirft sie sich dem Leben in die Arme, liebt, malt, schreibt, verlässt Männer, Freunde und wird verlassen. Immer wieder steht sie am Abgrund und immer wieder hebt sie den Blick darüber hinaus.

Eine starke Frau, zermahlen vom Kampf der harten Regeln ihrer Zeit und dem Um- und Aufbruch in eine neue. Zermahlen, doch nie zerstört, gescheitert, doch nie versagt. Franziska zu Reventlow lebte bewusst nach eigenen Regeln, die nichts mit Emanzipationsbewegung oder politischem bzw. gesellschaftlichen Widerstand zu tun hatten und sich doch genau in diese Chronologie einfügen lassen.

Das Porträt dieser komplizierten und heute fast vergessenen Persönlichkeit, die unter anderem mit Ludwig Klages, Erich Mühsam, Stefan George, Friedrich Huch und Annette Kolb lebte, arbeitete, philosophierte und sich vergnügte wird von Kerstin Decker in einer mitreißenden Biografie in all ihrer Komplexität dem Leser näher gebracht. –Nicht distanziert, sondern hautnah erlebt man die Höhen und Tiefen von Franziskas Leben mit. Je mehr man über sie erfährt, je detaillierter man in ihr Leben eintaucht desto mehr wird einem bewusst, dass diese Frau auch im Rückblick nicht zu greifen ist. Dies wird besonders deutlich durch den fließenden Übergang von biografischen Fakten und ihrem Spiegel in Franziskas erzählerischem Werk. Von Ellen Olestjerne – ihrem autobiografischen Roman – über Tagebucheinträge und Briefe, ihre eigenen wie die ihrer Freunde und Bekannten, schillert Franziska zu Reventlow zwischen Realität und Fiktion. Der Anmerkungsapparat und das Quellenverzeichnis laden dazu ein, sich noch mehr mit ihr und ihren Zeitgenossen zu beschäftigen.

Ausführliche Zitate aus ihrem Werk machen Lust, ihre Schriften wiederzuentdecken. Schon zu Lebzeiten eher ein Geheimtipp, von der Forschung für die eine oder andere Strömung vereinnahmt, wenn überhaupt beachtet, ist es verlockend einen neuen, unvoreingenommenen Blick auf ihr Leben und ihr Schaffen zu werfen.

Diese Biografie ist ein großartiges Leseerlebnis. Vom Lesegefühl ist sie her eher ein Roman, so spannend und distanzlos – manchmal wünscht man sich einen objektiveren Blick, um Fakten zuordnen zu können. Doch schon nach wenigen Seiten weiß man, dass diese Uneindeutigkeit die einzige Möglichkeit ist, diese komplexe Frau zu porträtieren. Sie war eine der ersten Frauen von heute, fast 200 Jahre bevor die Gesellschaft bereit dafür war und das ohne neu sein zu wollen. Ihr Ziel war immer sie selbst zu sein, bedingungslos, absichtslos – es war für sie einfach nur lebensnotwendig. Zerbrochen ohne zerstört worden zu sein. Verwelkt ohne geblüht zu haben und doch erblüht. Ihr Leben hat sich sein Recht erkämpft und den Kampf gleichzeitig gewonnen und verloren.

Fazit: Eine beeindruckende Biografie einer beeindruckenden Frau. Alles, was mir fehlte waren Bilder. Sie hätten das Buch noch einmal abgerundet. Doch trotzdem verlangt dieses Buch 5 Sterne!