Rezension

Ungewöhnliche Biografie einer ungewöhnlichen, mutigen, Freiheit liebenden Frau

Franziska zu Reventlow - Kerstin Decker

Franziska zu Reventlow
von Kerstin Decker

Bewertet mit 5 Sternen

Schon auf dem Cover mit Schwarz-Weiß-Foto wird der Blick wie magisch von den Augen einer bemerkenswerten Frau angezogen, 'Augen, in denen man ertrinken kann' (197), das zarte, zierliche Gesicht der Franziska zu Reventlow. Das Äußere des Hardcovers ist ebenso schön wie die Frau, um die es geht, ein kräftiges Himmelblau mit passendem Lesebändchen, das Cover mit Foto, alles farblich gut aufeinander abgestimmt.

Doch wirklich wichtig sind die inneren Werte und die gefallen mir in diesem Buch richtig gut. Franziska zu Reventlow war mir bis dahin unbekannt, ebenso die anscheinend auf Biografien spezialisierten Autorin Kerstin Decker. Sie versteht es, den Leser in das Leben der Franziska - eigentlich Fanny, mit einer langen Kette weiterer Vornamen - hineinzuziehen. Das fängt schon mit dem ersten Satz an: "Nie ist man mehr allein als unter Menschen" (9), mit dem man mitten in die Geschichte hinein springt.

Nach und nach erfährt der Leser eine Menge über sie, ihre Familie und die gesellschaftlichen Umstände der wilhelminischen Zeit mit ihren Repressalien, der rigiden Erziehung und ihrer Missachtung von Frauen und anscheinend ganz besonders bei der Erziehung adliger Mädchen. "Jungen spielen, Mädchen stricken." (19) Bei Fanny kommen noch ungünstige Familienumstände hinzu: eine gefühlskalte Mutter und ein Vater, der nichts mit ihr anfangen kann und kaum mit ihr spricht. Sie wird umher gereicht, adlige Stifte – sehr treffend 'Mädchengefängnisse' genannt - Verwandte.

Was kann aus einem solchen Kind werden? Die meisten werden sich angepasst haben oder daran zerbrochen sein, nicht aber Fanny, die sich später Franziska nennen wird. Sie ist stark, unbeugsam, intelligent und vor allem mutig.

Dennoch bekommt man zunehmend den Eindruck, dass sie ihr Leben nicht im Griff hat. Ständig ist sie in Geldnöten und dazu kommt ihr fataler Hang zu Männern, der zu Schwangerschaften und Abtreibungen führt, gleichzeitig aber ihre Unfähigkeit, sich zu binden. Was sie alles tut, um an Geld zu kommen, ist unglaublich: Scheinheirat, Arbeit im Bordell, Schriftstellerei. Dabei wollte sie eigentlich Malerin werden.

Bücher zu schreiben, Romane, Essay, Novellen – von denen es nur wenig gibt – das wäre wohl der richtige Beruf gewesen für eine, die in Schwabing in intellektuellen Kreisen unterwegs war, Nietzsche u.a. gelesen hat und eine gute Beobachtungsgabe ihr Eigen nennt. Aber sie wertet ihr Schreiben selber ab und scheint es nur um des Geldes willen zu tun. Eine Vergeudung in meinen Augen! So ist ihr Werk klein und überschaubar geblieben.

Wer war sie nun? Wahrscheinlich weiß sie das selber nicht und ein wenig bleibt es im Dunst ihres chaotischen Lebens: 'eine schriftstellernde Malerin', 'ein seltenes Exemplar ihres Geschlechts, eher ein Wild- als ein Haustier, schwer zu zähmen.' (92) wird einer von ihr sagen.

Es ist schön, wenn eine Biografie nicht nur eine Abfolge von Fakten und Daten ist, aber man fragt sich jedes Mal, wie viel davon Interpretation und Meinung des Autors ist, hier ganz besonders. Ich finde, diese Biografie ist in einem eigenwilligen Stil geschrieben, nicht immer leicht zu lesen, nicht immer alles verständlich, aber sehr gehaltvoll und zum Denken anregend. K. Decker hat sich intensiv mit den Schriften von und über die Autorin beschäftigt. Das zeigt sich in den Anmerkungen, den Belegen, woher die zahlreichen Zitate stammen und einer ausführlichen Literaturliste.

Die Sprache ist manchmal bildhaft - z.B. der Vergleich der schwarzen knisternden Seidenschleppe mit einer Schlange (16) , ironisch oder sarkastisch, z.B. 'Gedankeneier in Damen legen'. Diese Art zu schreiben, macht mich neugierig, denn Kerstin Decker hat noch viel mehr verfasst. Ich denke, ich werde sie im Auge behalten und meine To-Read-Liste mit ihren Biografien verlängern.

"Eine solche Wirkung haben natürlich nur Bücher, in denen uns etwas entgegen kommt, was wir selbst längst ahnten, aber nie hätten formulieren können." (153)