Rezension

Es blieben nur Trümmer

Letzte Fahrt nach Königsberg - Ulrich Trebbin

Letzte Fahrt nach Königsberg
von Ulrich Trebbin

Bewertet mit 5 Sternen

„...Mit den Mauern der Stadt waren auch ihre Kindheit und ihre Jugend eingestürzt...“

 

Wir schreiben den Anfang des Jahres 1945. In Potsdam ist Ella bei ihrer großen Schwester Viki untergekommen. Ihre Heimatstadt Königsberg haben die Engländer im vergangenen Sommer in Schutt und Asche zerlegt. Zwar steht ihre Wohnung noch, doch der Kinder wegen hat sie sich zur Flucht entschlossen. In Potsdam aber regiert der Hunger. Also entscheidet sich Ella, nach Königsberg zu fahren und ihre Konserven per Post nach Potsdam zu schicken.

Der Autor hat eine fesselnde Familiengeschichte geschrieben. Doch das Buch ist weit mehr als dies. Es erzählt ein Stück Zeitgeschichte und setzt der Stadt Königsberg ein besonderes Denkmal.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen und ist vielseitig. Das Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen.

Das Eingangszitat stammt von Ella angesichts der zerstörten Stadt.

Der Schwerpunkt der Handlung liegt zwar auf dem Jahre 1945, es gibt dazwischen aber immer wieder Rückblenden zu bestimmten Episoden in Ellas Leben. Die sind gekonnt verbunden mit der Beschreibung von Land und Leuten.

Die erste führt mich ins Jahr1932. Unbeschwert fährt Ella mit ihren Freundinnen mit der Straßenbahn zur Schule. Die Fahrtroute und der Heimweg zum Kontor des Vaters, der eine Weinhandlung führt, gibt mir einen guten Einblick in das historische Königsberg. Gleichzeitig werde ich mit den Sitten und Gebräuchen der Zeit bekannt gemacht. Als Kaufmann ist man wer in der Stadt und hat sich entsprechend zu verhalten. Das gilt auch für die Kinder.

Das Jahr 1932 aber wird für Ella zum gravierenden Einschnitt in ihrem Leben. Der plötzliche Tod des Vaters zwingt die Familie, ihr Dasein neu zu regeln. Das wird in späteren Kapiteln immer wieder aufgegriffen. Ihren Traum vom Medizinstudium muss sie begraben.

Interessant finde ich die philosophische Diskussion, die der Vater 1932 mit der älteren Schwester Titi führt. Ein Zitat des Vaters daraus lautet:

 

„...Ist es nicht möglicherweise vernünftiger, einen Kritiker zum Schweigen zu bringen, als den Bestand des Staates zu riskieren?...“

 

Er selbst wird es nicht mehr erleben, wie viele Kritiker in den nächsten Jahren zum Schweigen gebracht werden. Nur kurz wird angedeutet, dass Ostpreußen zu den ersten Befürwortern des neuen Staates gehörte. Die Gründe waren vielfältig, die Folgen bitter.

Fast romantisch verklärt ist der erste Fahrradausflug von Ella und ihrer Freundin mit zwei jungen Männern. Das Leben liegt vor ihnen. Christian, einer der jungen Männer, erklärt anschaulich wie die Nehrung an der Ostsee entstanden ist.

Dann wechselt die Geschichte wieder ins Jahr 1945 und ist an Spannung kaum zu überbieten. Wird es Ella gelingen, einen der wenigen Zügen in Königsberg zu erreichen, der sie wieder nach Potsdam bringen kann?

Ellas Hobby, das Sammeln und Präparieren von Schmetterlingen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Die Schönheit der Tiere wird mit passenden Metaphern beschrieben. In den Kriegsjahren aber sind Konserven mit Wurst und Obst wichtiger. Die Kästen mit den Schmetterlingen gehen wie so vieles für immer verloren.

Erstaunt war ich über den Galgenhumor, der sich in den letzten Kriegstagen abzeichnete. Während manche noch an Hitlers Wunderwaffe glaubten, trauten sich andere, unumwunden zuzugeben, dass nichts mehr zu retten war. Obwohl verboten, verließen die Menschen in aller Eile Königsberg, als der Kanonendonner der Roten Armee zu hören war.

Ellas Flucht war in Potsdam nicht zu Ende. Es ging weiter gen Westen. Die Ankunft aber war bitter, wie das folgende Zitat belegt:

 

„...Die Menschen hier im Westen geben einem bei jeder Gelegenheit zu verstehen, dass man unerwünscht ist, dass man nicht dazu gehört und immer fremd bleiben wird...Es ist kein Verdienst, kein Flüchtling zu sein...“

 

Das Zitat sollte uns gerade heute zu denken geben.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es zeugt nicht nur von umfangreicherer Recherche des Autors, sonder zeigt auf sehr persönliche Weise, welche Kulturgüter und Werte ein Krieg zerstört. Ella musst am Punkt Null wieder anfangen, wie so viele mit ihr. Sie hatte die Heimat für immer verloren.