Rezension

Fantastisch und spannend, aber ebenso düster

Gemmas Visionen - Libba Bray

Gemmas Visionen
von Libba Bray

Im Juni 1895 stirbt die Mutter von Gemma Doyle auf den Straßen von Indien. Sie begann Selbstmord, doch Gemma hat gesehen was wirklich passier ist. Ihre Mutter wurde von einem dunklen Wesen verfolgt, das nach ihrem Leben trachtete. Zwei Monate später findet sich Gemma in London wieder. Ihr langjähriger Traum soll endlich in Erfüllung gehen. Sie darf ein Internat in England besuchen, um zu einer heiratsfähigen jungen Dame erzogen zu werden. Doch nun da ihre Mutter tot ist, erscheint Gemma England wie ein trister Ort, den sie am liebsten direkt wieder verlassen würde.

Anfangs will sich Gemma nicht recht in der ‚Spence-Akademie für junge Damen’ einleben, doch in Ann ihrer Zimmergenossin findet sie eine gute, wenn auch etwas naive Freundin. Als Gemma im Wald ein geheimnisvolles Tagebuch findet, erscheint das Leben im Internat plötzlich gar nicht mehr so trostlos. Denn das Tagebuch der Mary Dowd berichtet von dem ‚Orden des aufgehendem Mondes’, dem einst einige Schülerinnen der Spence Akademie angehörten, die die Fähigkeit hatten ein magisches Land zu betreten.

Zusammen mit Ann und ihren Mitschülerinnen Felicity und Pippa erkundet Gemma das Geheimnis des Ordens und schon bald finden sie unglaubliche Dinge heraus, die ihr gesamtes Weltbild ins schwanken bringen. Wie hängt der Orden mit dem Brand zusammen, der vor einigen Jahren den gesamten Ostflügel vernichtete und in dem zwei junge Mädchen starben? Während Gemma immer öfter Visionen von einem seltsamen Land hat, finden die vier Freundinnen langsam heraus, dass das Tagebuch die Wahrheit berichtet. Gemma, Ann, Felicity und Pippa machen sich auf in das Magische Land. Das Geheimnis schweißt die vier Mädchen zusammen und immer öfter betreten sie das Magische Reich, doch sie ahnen nicht, dass eine dunkle Macht ihr Reich bedroht. Und als ihnen klar wird, welche Macht sich ihnen entgegenstellt ist es schon fast zu spät…

„Gemmas Visionen“ ist der erste Teil einer Trilogie, in der viel mehr Potenzial steckt, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Man freut sich auf eine historische Internatsgeschichte mit einer ordentlichen Prise Magie. Doch völlig unvorbereitet findet man sich in einer fantastischen und spannenden Abenteuergeschichte wieder, die ebenso düster ist, wie die Geheimnisse und die Vergangenheit des Internats und des Magischen Reiches. Der Auftakt über den geheimen Zirkel ist eine mitreißende Geschichte, die einem stellenweise den Atem raubt. 

Zunächst findet sich der Leser in Indien wieder, wo er Gemma, die Hauptprotagonisten kennenlernt. Bereits in den zwei Kapiteln, die in Indien spielen, wird deutlich, dass Gemma es mit einer seltsamen, dunklen Macht zutun hat. Trotzdem ist der Leser ebenso unwissend wie Gemma. Dies zieht sich auch eine ganze Weile so hin, was jedoch keinesfalls negativ ist. Stattdessen lebt man sich erstmal gemeinsam mit Gemma in der Spence Akademie ein und erfährt langsam mehr über die seltsame Vergangenheit des Internats.

Ich empfand es als sehr positiv, dass man in gewisser Weise einem riesigen Rätsel gegenüber steht. Man weiß ebenso wenig wie Gemma, Ann, Felicity und Pippa und stellt immer mehr Vermutungen auf. Den Geheimnissen kommt man nur langsam auf die Spur und gerade dies ist unglaublich spannend und vermag einen lange an das Buch zu fesseln, weil man einfach wissen will wie es weitergeht. Der Konflikt spitzt sich langsam zu, dass merkt sowohl er Leser, als auch die vier Protagonistinnen, ohne das man jedoch weiß, was für ein Konflikt sich überhaupt zusammenbraut. Man ist völlig ahnungslos und sehnt sich ebenso nach Informationen wie Gemma.

Langsam aber sicher braut sich ein richtiges Gewitter an Emotionen, Geheimnissen und düsterer Erinnerungen zusammen. Der Leser wird auf das vorbereitet was ihn erwartet, aber wenn das Feuerwerk dann endlich losgeht, ist man vollkommen überrascht und verwirrt. Denn plötzlich eröffnen sich Antworten auf Geheimnisse, die man in der Form nie erwartet hätte. Die Autorin wirft den Leser regelrecht ins kalte Wasser und man ist sprachlos über das was man plötzlich erfährt. Die letzten 100 Seiten liest man dann an einem Stück runter, weil man immer neue Dinge erfährt, mit denen man nie gerechnet hätte und die Spannung ist regelrecht zum greifen nahe.

Für die Tatsache, dass sie ihre Leser am laufenden Band überrascht, möchte ich Libba Bray wirklich meine vollste Bewunderung aussprechen. Ich saß stellenweise ganz verdutzt über dem Buch, weil ich total schockiert über die neusten Erkenntnisse war. Libba Bray holt unglaublich viel aus ihrer Idee raus und macht „Gemmas Visionen“ so zu einem atemberaubenden Spektakel. Zudem schließt man den Roman in dem Wissen, dass Band 2 noch viel besser wird, obwohl man denkt, dass nichts das vorherige übertreffen kann.

Mit ihren Protagonistinnen hat Libba Bray durch die Reihe unglaublich sympathische und interessante Charaktere erfunden. Gemma, Ann, Felicity und Pippa sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht, aber trotzdem harmonieren sie perfekt und jeder kann sich mit einer der vier in irgendeiner Art identifizieren. Alle vier haben ihre eigenen Stärken und Schwäche, was auch ganz deutlich rüber kommt, aber trotzdem sind sie alle irgendwie liebenswürdig und wachsen einem richtig ans Herz. Man fiebert mit ihnen mit und hofft schon um ihretwillen, dass alles eine gute Wendung nimmt. Zudem erlangen alle vier mit der Zeit immer mehr Tiefe, was ich wirklich klasse fand. Es haben sich immer mehr Seiten an ihnen eröffnet und am Ende hatte man ein ganz anderes Bild der vier, als am Anfang.

Neben ihren Hauptcharakteren gibt es jedoch auch viele faszinierende Nebencharaktere, die ebenso überzeugen wie Gemma und Co. Besonders Kartik ist geheimnisvoll und so reizt es den Leser endlich mehr über ihn zu erfahren. Ich bin bereits gespannt, was sich die Autorin für ihn ausgedacht hat und hoffe, dass bereits der zweite Band mehr Kartik bietet als der erste. Im Internat gibt es weitere interessante, nervige und liebenswerte Charakter. Besonders die Lehrerin Miss Moore scheint mehr zu wissen, als man anfangs denkt. Aber die heimlichen Stars unter den Nebencharakteren sind natürlich Mary Dowd und ihre Freundin Sarah, die ein Geheimnis hüten, mit dem ich nie gerechnet hätte.

„Der geheime Zirkel“ wird aus der Sicht von Gemma erzählt, was ich für eine perfekte Wahl halte. So erlebt man hautnah mit, wie fremd und unwohl sich Gemma anfangs in England fühlt. Man lernt mit ihr zusammen das Internat, ihre späteren Freundinnen und das Geheimnis um den Orden kennen. Libba Bray beschreibt die Gefühle und Gedanken von Gemma sehr anschaulich, sodass man ihre Emotionen sehr gut nachvollziehen kann und direkt mit ihr mitfühlt. Doch trotz Gemmas Sicht, bleiben Ann, Felicity und Pippa keine farblosen Charaktere. Die Autorin schafft es alle sehr gut und tiefgründig zu schildern, sodass man nicht das Gefühl hat, irgendjemanden nicht gut genug zu kennen.

Libby Bray schreibt sehr bildlich und anschaulich. Ich habe mich die ganze Zeit gefühlt, als wäre ich mitten drin im Geschehen. Man fühlt sich besonders im Magischen Reich, wie in einem farbenprächtigen Paradis. Doch die Autorin schafft es nicht nur die fröhlichen Situationen farbprächtig und realistisch zu beschreiben, sondern auch die Dunkelheit scheint zum greifen nahe und im Winterreich spürt man regelrecht den kalten Hauch der Geister.

Was mich am meisten an „Gemmas Visionen“ begeistert hat, war, dass der Roman viel, viel mehr zu bieten hat, als ich gedacht habe. Das Abenteuer um Gemma und ihre Freundinnen ist unglaublich spannend und man kann kaum erwarten, zu erfahren wie es weiter geht. Ich werde auf den zweiten und dritten Teil mit Vergnügen lesen und freue mich bereits zu erfahren wie es weiter geht. Das Ende des ersten Bandes ist, meiner Meinung nach, sehr passend. Obwohl es in sich abgeschlossen ist, ist dem Leser doch klar, dass sich ein unglaubliches Gewitter zusammenbraut, in dem Gemma vielleicht untergehen wird. Ich war absolut begeistert von „Gemmas Visionen“ und war immer wieder überrascht über plötzliche Wendungen, mit denen wirklich nicht zu rechnen war. Libba Bray hat mich immer wieder überrascht und ich hoffe, dass sie dies im zweiten Teil ebenfalls machen wird. Ich bin mir aber sicher, dass die Fortsetzung noch mehr Emotionen, Spannungen und Geheimnisse zu bieten hat, als der der erste Teil. Denn immerhin hat der große Kampf gerade erst begonnen.

In einer Welt jenseits dieser singt der Fluss weiter sein süßes Lied, rauscht uns ins Ohr, was wir hören möchten, zaubert uns vor Augen, was wir sehen müssen, um weitermachen zu können. In jenen Wassern sind alle Enttäuschungen vergessen, all unsere Fehler verziehen. Wenn wir in sie hineinblicken, sehen wir einen starken Vater. Eine liebevolle Mutter. Warme Zimmer, in denen wir behütet, bewundert, gewollt sind. Und die Unsicherheit unserer Zukunft ist nicht mehr als ein Atemhauch an einer Fensterscheibe.

FAZIT
Eine fantastische und spannende Abenteuergeschichte, die ebenso düster ist, wie die Geheimnisse und die Vergangenheit des Internats und des Magischen Reiches. Libba Bray schreibt sehr bildhaft und hat sympathische, rätselhafte und liebenswerte Charaktere erschaffen, die „Gemmas Visionen“ zu einem absoluten Highlight machen.