Rezension

Finsternis im Wunderland

Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland - Christina Henry

Die Chroniken von Alice - Finsternis im Wunderland
von Christina Henry

Bewertet mit 4 Sternen

Alice ist in einer Nervenheilanstalt eingeschlossen. Schon zehn Jahre vegetiert sie als Verrückte in einem Dämmerzustand dahin. Eingesperrt in eine triste Zelle wird sie nachts von Albträumen gequält, die von der Erinnerung an den Mann mit den Kaninchenohren durchzogen sind. Doch dann bricht ein Feuer im Hospital aus, was der verrückten Alice zur Flucht verhilft. 

„Die Chroniken von Alice. Finsternis im Wunderland“ ist der Auftakt einer dunklen-fantastischen Reihe, in der Christina Henry Kinderklassikern und Märchen einen schwarzen Anstrich verleiht. 

Ich habe mich beim ersten Blick in das Cover verliebt, die Inhaltsbeschreibung klingt genial, doch dann bin ich erstmal skeptisch geworden. Fantasy liegt mir nur bedingt, daher hatte ich meine Bedenken. Als ich dann in anderen Rezensionen gelesen habe, dass der Splatter-Anteil recht hoch ist, war ich erst hin- und hergerissen. Splatter steht zwar oft für Horror, kann mich als alleiniges Merkmal aber nur bedingt überzeugen. 

Man merkt schon, trotz der Zweifel war meine Neugier entfacht, und daher musste ich mich auf den Weg in die finstere Version vom Wunderland begeben. Und ja, ich bin begeistert, weil ich mich in der Dunkelheit verloren habe. 

Allerdings hatte ich am Beginn deutliche Schwierigkeiten in die Geschichte reinzukommen. Alice sitzt in ihrer Zelle im Hospital, steht unter Beruhigungsmitteln und schließt mit dem Insassen der Nachbarzelle zurückhaltend Freundschaft. Später gelingt ihnen die Flucht, und hier wusste ich nicht so recht, ob sich Alice und ihr Kumpane Hatcher in der echten Welt bewegen oder in ein Fantasyreich abgetaucht sind. 

Je tiefer ich mit der verrückten Alice und dem blutrünstigen Hatcher ins finstere Wunderland kam, umso weniger spielte diese Orientierung eine Rolle, weil die Geschichte, das Setting und die Figuren mitreißend sind. 

Für mich ist es eine Mischung aus Realität und fantastischer Welt, die ihre Grundelemente aus Lewis Carrolls Klassiker zieht. Genau wie es der klassischen Vorlage entspricht, klappern Alice und Hatcher die Stationen auf dem Weg zum Kaninchen ab. Trotzdem ist diese Welt düster, abartig, blutrünstig und bizarr, weil es trotz allem im Wunderland spielt.

Protagonistin Alice muss sich selbst erkennen. Sie erinnert sich kaum an ihr Leben oder die Ereignisse vor ihrem Aufenthalt in der Nervenheilanstalt. Von Zeit zu Zeit werden böse Erinnerungen geweckt. Nach dem Ausbruch liegt es an ihr, sich zu erinnern, sich kennenzulernen, und der wunderlichen Realität ins Auge zu blicken. 

Begleitet wird sie vom blutrünstigen Hatcher. Ihr Zellennachbar hat sich als Axt-Mörder einen Namen gemacht, und weicht ihr nicht von der Seite. Zudem ist er mindestens so verrückt wie die junge Frau, die er sich als Schutzbefohlene auserwählt hat. Vor ihm hatte ich zu Beginn richtig Angst, weil er ein unberechenbarer Charakter ist. Doch im Laufe des dunklen Abenteuers treten die Hintergründe um der Figur ans Licht, was für besseres Verständnis seines Verhaltens sorgt.

Auf das Setting des finsteren Wunderlands muss man sich einlassen. Christina Henry hat hier eine richtig abartige Finsternis zum Leben erweckt, die zudem gesellschaftliche Probleme thematisiert. Sie spricht über Sexualität, Vergewaltigung und Prostitution, Umweltverschmutzung, Kinderarmut und verkümmerte soziale Milieus. In ihren Beschreibungen ist sie hart, was sicherlich nicht für jeden Leser die ideale Lektüre ist.

Obwohl es thematisch drastisch zugeht, und - wie es für viele Vertreter des Horrors üblich ist - auch Blut spritzt, ist es meiner Meinung nach kein Splatter, weil die Blutrünstigkeit meinem Gefühl nach nicht Überhand nimmt. 

Von der Handlung bin ich jedenfalls schwer begeistert. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten bin ich im Endeffekt gut im finsteren Wunderland angekommen. Ich bin mit Alice und Hatcher auf dunklen Pfaden in Richtung Kaninchenbau gewandert, wo wir Absurditäten, Grausamkeiten, Extremen und Erkenntnissen begegnet sind. Der Weg mündet in einem unspektakulären Ende, was meiner Meinung nach perfekt zur ereignisreichen Geschichte passt. 

Verrückte Figuren, dunkle Wege, erstaunliche Erkenntnisse und wunderliche Absurditäten verhüllt in einer finsteren Version der Klassiker-Vorlage haben mir großen Spaß gemacht, und ich freue mich, wenn ich die Finsternis im Wunderland erneut betreten kann. 

Die dunklen Chroniken:
1) Die Chroniken von Alice. Finsternis im Wunderland
2) Die Chroniken von Alice. Die Schwarze Königin
3) Die Chroniken von Peter Pan. Albtraum im Nimmerland
4) Die Chroniken der Meerjungfrau. Der Fluch der Wellen
5) Die Chroniken von Rotkäppchen. Allein im tiefen, tiefen Wald