Rezension

Für innovative Köche, die es auch gerne mal klassisch mögen und die chaotische Einteilungen nicht abschreckt

Österreichische Küche - Bernie Rieder

Österreichische Küche
von Bernie Rieder

Obgleich das Buch einen chaotischen Eindruck vermittelt, ist es dennoch beeindruckend und mit ausdrucksstarken Bildern (nicht zu allen Rezepten) bestückt. Ich schwanke zwischen "oh, wie köstlich" und "oh wie chaotisch" und "oh wie peinlich wenig Nachtisch für ein österreichisches Kochbuch".

***Bewertet mit 3,5 Sternen***

 

Ich fange mal mit dem Cover an.

Das matte Cover hat mit Sicherheit über kurz oder lang die Eigenschaft, dass die Oberfläche stumpf wird und wie tausendmal über Sand gerutscht erscheint, (oder passend zum Cover, wie eine schlecht geputzte Kreidetafel). Das wirkt dann sehr hässlich.
Daher habe ich sofort eine selbstklebende Klarsichtfolie um das Buch geschlagen, damit mir das Cover nicht gleich verdirbt.

Die Gestaltung des  Covers ist total untypisch für Kochbücher. Kein Gericht darauf, sondern sehr puristisch wie eine schwarze Tafel. Das ist für mich ein sehr selbstbewusstes Statement. Mir ist es zu schlicht.

 

Der allgemeine Eindruck beim Blättern:

Das schwere Kochbuch ist inhaltlich klar gegliedert und trotzdem irgendwie chaotisch.

Mal gibt es keine Bilder zu den Rezepten.
Mal ist ein Bild neben einem Rezept abgedruckt, das gar kein Bild hat. Das Bild bezieht sich dann auf ein Rezept auf der gegenüberliegenden Seite.
Mal sind es große Bilder, die sich auf einer ganzen Doppelseite erstrecken, dazu das passende Rezept abgedruckt,  mal gibt es mehrere kleine Spalten mit Bildern und dem darunter geschriebenen Rezept. Und manchmal ist auf einer kompletten Doppelseite ein stimmungsvolles Bild verschiedenster Kategorien eingeworfen. Durchaus auch „private“ Familienfotos des Koches, fertige Speisen, roher Nudelteig, der Koch mit Hühnern, usw.
Also optisch wirkt der „dicke Schinken“ auf mich irgendwie konzeptlos und ohne klare Linie. Vielleicht soll das die Dynamik des modernen Kochens zeigen. Ich weiß es nicht. Meins ist auch das nicht.

 

Die Inhaltsangabe:

Die Groben Einteilungen wie „Gemüse“ „Hendl“ , etc. sind klar.
Ebenso die feineren Unterteilungen wie „geschmort“, „gebraten“, „gefüllt“.
Darunter aber sind die einzelnen Rezepte und ihre Variationen in schmalen Spalten hintereinanderweg geschrieben, sodass ein Rezeptname über 2 Spalten verlaufen kann, und die Seitenzahl nicht das Letzte in der Spalte ist, sondern die ersten Worte des nächsten Rezeptes hinter der Seitenzahl des vorangegangenen Rezeptes beginnen.
(Ja, das ist schwer zu beschreiben, liest sich auch schwer. Also hier und im Rezeptbuch) ;-) Gewöhnungsbedürftig halt.

Es gibt einen Glossar in dem österreichische Namen erklärt sind, die es so im Deutschen nicht gibt. Das ist sehr hilfreich.

Dennoch finde ich den ein oder anderen Begriff, der nicht erklärt ist, und den ich im Internet nachschlagen musste. (Ein bestimmter Essig, dessen Name ich schon wieder vergessen habe, wird dort zum Beispiel nicht erwähnt. Vielleicht wird vorausgesetzt, dass dieser Essig unter diesem Namen auch in Deutschland bekannt ist). Oder was ist „LinsenPÖRKÖLT“? Nun, Pörkölt stammt wiederum aus dem Ungarischen und kann daher nicht im österreichischen Glossar stehen. :- )

Die Rezepte:

Die wirklichen Rezept-Klassiker sind als solche mit einem Stempel „Klassiker“ versehen. Das finde ich hervorragend. Alles was dann folgt, ist eine Variation dessen und mit vielen kulinarischen Einflüssen aus anderen Ländern. So kommen natürlich einige Gerichte zusammen. Ich bin schier erschlagen von der Auswahlmöglichkeit. Mir geht das schon fast einen Schritt zu weit. Ich komme gar nicht mehr dazu mich auf ein besonderes Gericht „einzuschießen“. Ständig bin ich abgelenkt und blättere weiter hin und her.

Was mir sehr gefällt ist die Vielzahl an Soßen, die sich überall in den Rezepten verstecken. Es lohnt sich also quer zu schmökern. Man findet immer wieder ein neues Dressing, oder eine neue Sauce, die etwas mehr Pepp in die eigenen Rezepte bringt.

Aufgrund des Buches habe ich das Schmorhähnchen für mich entdeckt. Das Fleisch bleibt zart und saftig. Ich werde es wohl in Zukunft nicht mehr immer nur in der Pfanne braten. Also habe ich schon etwas aus dem Buch mitgenommen!

Die Rezepte, die ich ausprobiert habe gelingen gut, haben aber auch manchmal extrem viele Zutaten, die auch nicht immer problemlos zu besorgen sind. Das Ergebnis entschädigt allerdings für den Aufwand.

No-Go!

Die größte Enttäuschung für mich ist allerdings, dass es nur verschiedene Versionen von Schmarrn als Nachtisch gibt. Ich bin kein großer Freund von Kaiserschmarrn, aber die Variationen lassen mich dennoch  hoffen einen passenden Schmarrn für meinen Gaumen zu finden.

Ich habe mich eigentlich auf ein gutes Palatschinken Rezept mit (vielleicht sogar selbstgemachtem) Eis gefreut. Ich hätte auch gerne noch andere typisch österreichische Rezepte kennengelernt, die es ja nach Auffassung des Autors so zahlreich gibt, die er aber bewusst außen vor lässt. Wollte man diese Klassiker und des Rieders innovativen Variationen einbringen, würde das den Rahmen des Buches sprengen.

Das ist für mich ein ganz klares Armutszeugnis! 

Das Buch besteht aus vielen „Variationen“, die ich persönlich für vollkommen überpräsentiert halte. Ob auf einem Backblech nun nur grüner Spargel ist, oder nur weißer Spargel, oder als dritte und vierte Variante mit Mais oder Parmesan, ist mir herzlich egal. SOLCHE Sachen hätte ich auf einer Doppelseite zusammengefügt. Oder die einzelnen Gemüse im Salzteig. Jede Lauchstange, oder Rübe einzeln auf einer Doppelseite zu präsentieren halte ich für falsch gesetzte Prioritäten. Wenn wegen so etwas der Rahmen des Buches gesprengt wird und deshalb der Nachtisch zu kurz kommt ist etwas schief gelaufen. (435 Seiten Rezepte, 15 Seiten Nachspeise und das nur Schmarrn, um es ganz deutlich zu machen, ist einfach grottenschlecht.)

Da bin ich wirklich mega enttäuscht. Dem Buch fehlt dadurch etwas! Wo sind die Salzburger Nockerln, die Marillenknödel, die Sachertorte, und, und, und... ?

Aber vielleicht ist Bernie Rieder einer dieser Köche, die einfach keinen Nachtisch KÖNNEN (oder wollen). Für mich jedenfalls gehört zu einem guten Koch auch ein gutes Händchen für den Nachtisch, zu einem guten Kochbuch eine Vielfalt an Nachspeisen. Die gibt es hier nicht. "Den Rahmen  sprengen" halte ich für eine billige Ausrede.

Dafür gibt es einen dicken Punkt Abzug. Ich würde am liebsten noch einen  Punkt mehr abziehen, aber das wäre vielleicht auch nicht gerechtfertigt. Denn die Grundrezepte und Klassiker allein sind es schon wert gut benotet zu werden.

Da es auf WLD halbe Sterne gibt, gebe ich also 3.5 Sterne für das gesamte Buch.

Das Format ist handlich, die Rezepte sind mannigfaltig, die Umsetzung ist einfach, der Koch ist innovativ, ja fast schon zu innovativ, das Gelingen der Rezepte ist gegeben, und der Geschmack meiner nachgekochten Kreationen ist wahrlich köstlich!

Ich spreche eine ganz klare Kaufempfehlung für ambitionierte Köche aus, die es gerne innovativ, gleichzeitig aber auch klassisch mögen.
Dieses Buch bietet beides!

Kommentare

kommentierte am 04. November 2014 um 08:19

Geschmortes Paprikahendl.

Zartes Fleisch, tolle Sauce. Aus Zeitmangel gab es gekaufte Spätzle, die ich mit Rosmarin angerichtet habe.