Rezension

Großartig und befremdlich

Maschinen wie ich
von Ian McEwan

Bewertet mit 4 Sternen

Ian McEwan erfindet in „Maschinen wie ich“ die Vergangenheit neu: Großbritannien hat 1982 gerade den Falkland-Krieg verloren, die Beatles musizieren vereint und dank der Forschung von Alan Turing gibt es bereits Internet, Handys und selbstfahrende Autos – und die ersten täuschend echten künstlichen Menschen, namens Adam oder Eve.

Auch wenn es ihn ein kleines Vermögen kostet, kauft Charly, ein Lebenskünstler Anfang dreißig, sich sofort einen der ersten Androiden, die auf den Markt kommen. Charlie wünscht sich einen Freund, einen Helfer, einen interessanten Gesprächspartner.

„Die Wärme der Haut, darunter die festen, doch elastischen Muskeln – mein Verstand sagte Plastik oder Ähnliches, meine Hand aber reagierte auf Haut und Fleisch.“ (S. 19)

Doch Charlie erhält mit dem Androiden Adam viel mehr als das: einen Rivalen um die Liebe der schönen Miranda , einer cleveren Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss – und eine moralische Herausforderung, die ihn bis zum Äußersten reizt. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen.

„Wie schon Schopenhauer über den freien Willen sagte, kann man wohl tun, was man will, aber man kann nicht wollen, was man will. Außerdem weiß ich, es war deine Idee, dass sie mithilft, dass ihr mich gemeinsam zu dem macht, was ich bin. Letzten Endes bist du also selbst für diese Situation verantwortlich.“ (S. 163)

Ian McEwan hält uns in diesem so philosophischen wie fesselnden Roman einen doppelten Spiegel vor – als Menschen und als Zeitgenossen sehen wir uns darin zuweilen klarer, als uns lieb ist.

„Wir erschaffen Maschinen mit Intelligenz und Bewusstsein und stoßen sie hinaus in unsere unvollkommene Welt. Sie sind nach rein rationalen Grundsätzen geschaffen, anderen Menschen gegenüber positiv eingestellt, und nun wird ihr Verstand von einem Hurrikan von Widersprüchen erfasst. Wir selbst haben damit zu leben gelernt, und die Liste ödet uns an: Millionen sterben an Krankheiten, die wir heilen können. Millionen leben in Armut, obwohl es genug für alle gibt. Wir zerstören unsere Biosphäre, obwohl wir wissen, dass sie unsere einzige Heimat ist. Wir bedrohen uns gegenseitig mit Atomwaffen, auch wenn wir wissen, wohin das führen kann. Wir lieben Lebendiges, lassen aber massenhaftes Artensterben zu. Und dann der ganze Rest – Genozid, Folter, Versklavung, häusliche Gewalt bis hin zum Mord, Kindesmissbrauch, Schießereien in Schulen, Vergewaltigungen, tagtäglich eine schier endlose Zahl skandalöser Greueltaten. Wir leben mit all diesen Grausamkeiten und sind nicht mal erstaunt, wenn wir trotzdem unser Glück, sogar die Liebe finden. Künstliche Intelligenzen sind da weniger gut geschützt.“ (S. 242)

Und genau auf diesen mangelnden Schutz reagieren die Androiden auf ihre eigene tragische Weise, so dass man sich als Leser die Frage stellen darf, ob künstliche Intelligenzen mit eigenem Bewusstsein überhaupt überlebensfähig in einer menschlichen Gesellschaft sein können und ab welchem Zeitpunkt es sich bei den Androiden um schützenswertes Leben handeln könnte, selbst wenn diese hochkomplexe mit Intelligenz und Moral ausgestattete vielschichtige Lebensform sich regelmäßig über ein im Bauchnabel eingestöpseltes Ladekabel mit dem Stromnetz verbindet. Ich fand es großartig und zugleich befremdlich, wie der Autor den Androiden Leben einhaucht und sie agieren lässt. Und diese Zerrissenheit zwischen Bewunderung, Abscheu und manchmal auch ein wenig Mitleid sorgt beim Lesen für eine besondere Art der Spannung, die nicht von rasantem Geschehen sondern vielmehr von der unheilvollen Stimmung des Romans lebt und nachdenklich macht.

Auch wenn mich Ian McEwans Umkehrung der Zeitgeschichte beim Lesen oft verwirrte und mich aus meinem Lesefluss herausriss oder aufgrund von mangelhaftem Wissen in englischer Geschichte und englischer Politik sogar langweilte, hat sie doch im nachhinein betrachtet durchaus ihre Berechtigung um die entsprechenden Voraussetzungen dieses Romans zu schaffen. Insgesamt war dies für mich jedoch zu viel Drumherum, auch wenn der Autor sicherlich stellenweise seine helle Freude am Umschreiben der Geschichte gehabt haben muss. Lieber las ich hingegen die Passagen über Charlie, Miranda und vor allem Adam, weshalb ich diesen Roman Lesern empfehlen kann, die interessanten und grenzwertigen Gedankengängen über künstliche Intelligenz folgen möchten.

„Ich wünschte, ich könnte Ihnen die wahre Herrlichkeit des Denkens zeigen, die exquisite Logik, Schönheit und Eleganz der Lösung des P-NP-Problems und die inspirierende Arbeit von vielen tausend guten, klugen, engagierten Männern und Frauen, die diese neuartige Intelligenz erst ermöglich hat. Das würde Sie mit Hoffnung für die Menschheit erfüllen. Aber in all ihren tollen Programmcodes gibt es nichts, was Adam und Eve auf Auschwitz vorbereiten könnte.“ (S. 243)