Rezension

Harvard-Sommer

Mein Sommer mit Kalaschnikow - André Aciman

Mein Sommer mit Kalaschnikow
von Andre Aciman

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es ist ein Sommer Ende der 70er Jahre in Cambridge, Massachusetts. Wochenlang herrscht eine erdrückende Hitze. Der unbenannte Ich-Erzähler ist einer der letzten Studenten, die noch auf dem berühmten Campus der Harvard-University ausharren. Er ist durch die Prüfungen gefallen und muss sich auf die Wiederholung im Januar vorbereiten. Er ist bedrückt und eine gewisse Zukunftsangst beschleicht ihn. Die Freunde sind alle auf Studien- , Heimat- oder Ferienaufenthalt. So liest er viel, sitzt in der Sonne, mixt sich Drinks oder hängt im Café Algiers herum. Hier, in diesem Treffpunkt maghrebinischer Auswanderer, trifft er eines Tages den Taxifahrer Kalaschnikow. Dieser ist Tunesier mit einem recht abenteuerlichen Vorleben, laut, selbstbewusst, vulgär. Ziemlich anders als der eher zurückgezogene Erzähler. Er wartet auf die ersehnte Greencard, um in den USA bleiben zu können. Seine nicht zuletzt zu diesem Zweck geschlossene Ehe gefährdet er durch reichliche, relativ wahllose Abenteuer mit Frauen. Im Gegensatz zum Ich-Erzähler ist er ein wahrer Womanizer. Gemeinsam ist ihnen aber das Gefühl der Wurzellosigkeit, des Nicht-richtig-dazugehörens und die Sehnsucht nach dem Mittelmeer und Frankreich. Denn auch der Erzähler stammt aus Ägypten, wurde dort zehn Jahre zuvor als Jugendlicher wegen seiner jüdischen Herkunft ausgewiesen. Familiäre Bindungen scheint er nicht zu besitzen oder zumindest nicht zu pflegen. So trifft ein Heimatloser auf den anderen, und trotz ihrer Verschiedenheit ziehen die beiden einen Sommer gemeinsam durch das Leben. Dass die Beziehung recht einseitig ist, dass der Erzähler im Gegensatz zu Kalaschnikow ganz andere Möglichkeiten besitzt, wird nach und nach deutlich. Es wird bei diesem einen "Sommer mit Kalaschnikow" bleiben.

Aciman beschreibt die Personen seines Romans sehr genau und akribisch. So entstehen sie für den Leser recht plastisch, besonders Kalaschnikow ist ein besonderer und widersprüchlicher Typ. Zum Teil tut der Autor aber auch zu viel des Guten und erklärt und psychologisiert zu breit. Trotzdem werden die Beziehungen nicht ganz klar. Besonders die unzähligen Frauengeschichten erschienen mir nicht ganz glaubwürdig. Trotz Abstand zum Geschehen, der Roman wird im Rückblick mit 40jähriger Distanz erzählt, gelingt es dem Ich-Erzähler nicht, gelassen auf sein einstiges Ich zu schauen, sondern er scheint unter einem steten Erklärungs- und Rechtfertigungszwang.

Was den Roman von André Aciman dennoch lesenswert macht, ist neben dem gelungenen Stil, dass der Autor es wunderbar versteht, Atmosphären zu schaffen. Sowohl die Atmosphäre auf dem sommerlichen Campus, im Café Algiers, auf der sonnendurchglühten Dachterrasse oder im Taxi mit Kalasch ist wunderbar eingefangen. Dieses Gefühl einer Zwischenzeit, zwischen zwei Semestern, zwischen zwei Prüfungen, zwischen dem Antrag auf eine Greencard und dem Bleiberecht, ist sehr gut getroffen. Deshalb vermag der Leser über die weniger gelungenen Passagen hinwegzulesen und es hinterlässt am Ende das Gefühl einer angenehmen, sommerlichen Lektüre.