Rezension

Herumlungern auf dem Bahnhofsvorplatz

Vatermal -

Vatermal
von Necati Öziri

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Langweilig oder : Coming of Age mit Migrationshintergrund

Vier Freunde wachsen gemeinsam auf, Arda, der Erzähler, Savaş, Danny und Bojan. Jeder hat auf seine Weise mit einem verkümmerten Vaterbild zu tun. Ardas Vater, Metin, ist nicht vorhanden. Arda hat bis zum 18. Lebensjahr zwar eine Aufenthaltserlaubnis, aber keine Staatsangehörigkeit; sein Vater hat seine Mutter kurz nach seiner Geburt verlassen und ist in die Türkei zurückgekehrt, wo er eine Zweitfamilie gründete. Savaş Vater ist von Haus aus Ingenieur, seine Zeugnisse, in Deutschland nicht anerkannt, hängen in der Dönerbude, die er betreibt. Dass er keine Chance hatte, ein seiner Ausblidung angemessenes Leben zu führen, hat ihn hart werden lassen. Savaş Vater ist für Arda zwar wie ein Onkel, er hat ein Herz für die heranwachsenden Jungs, schlägt aber seinen Sohn wegen schlechter Schulnoten grün und blau und misshandelt seine Frau. Danny nennt sich Danielo und ist auch vaterlos, genau so wie Bojan, der sieben Pässe hat, aber keine Identität und ausserdem immer wieder epileptische Anfälle hat. 

Der Kommentar: 
Nachdem ich nun mehrere Romane über Migrantenschicksale gelesen habe, zähle ich den Roman “Vatermal” zu den schwächeren unter ihnen. Beinahe möchte ich sagen, er hat sein selbst gesetztes Thema verfehlt. Vater, wo bist du, könnte man den Roman von Necati Öziri ebenso gut betiteln, weil Arda, an einer schweren Immunkrankheit leidend dem abwesenden Vater aus dem Krankenhaus heraus, einen Brief schreibt, nämlich den vorliegenden Roman. In diesem Brief geht es freilich kaum um den Vater, vielmehr nimmt das Leben von Mutter Ümran den meisten Raum ein.
Der Roman schwenkt seinen Scheinwerfer zuckelnd abwechselnd auf die Mutter Ümram, auf die Schwester Aylin – dann wieder zurück auf die auf einem öffentlichen Platz herumlungernden Jungs. Nur einer von ihnen schafft es, sich von diesem Mileu zu lösen und das ist unser Arda. Er studiert Literatur und schreibt unser Buch.
Sicher, der Roman erzählt von Fremdheit und von fehlenden Vorbildern und von einer verfehlten Jugend, aber eigentlich ist es nur ein coming-of-age Roman mit Migrationshintergrund. Eine Sinnsuche, eine Vatersuche kommt nicht vor. Gefühle sucht man vergeblich. Ja, der erzählende Arda schreibt, eigentlich sei er doch viel besser dran, ohne Metin. Das mag sein, aber warum haben wir dann einen Roman vor uns namens "Vatermal"?
Was ich von dem Roman erwartet habe, entweder eine intensive, gerne auch innere, Vatersuche oder eine Auseinandersetzung mit dem Patriarchat oder eine Schilderung von Zerrissenheit zwischen den Kulturen, all das, erwartete ich vergebens.
Nun ist die Schilderung der herumhängenden Jungs auf der Bahnhofsvorbank gar nicht schlecht geschrieben, aber etwas Neues ist das ganz und gar nicht, im Gegenteil, es ist so alltäglich, dass mir vor Langeweile der Kopf auf die Tischplatte knallt, denn das ist die stärkste Emotion, die der Roman bei mir auslöst: bohrende Langeweile.
Und das darf Literatur nicht, sie darf aufregen und zornig machen, sie darf fremd sein und unverständlich, provokativ und offen anklagend, aber eines darf sie nicht, mich langweilen. Mit viel good will gibt es noch drei Sterne – aber der dritte Stern ist ein geschenkter, dem Umstand geschuldet, dass der Roman, aus welchem Grund auch immer, auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2023 steht. Vielleicht ist es tatsächlich ein Roman für junge Leute, die sich mit herumlungernden Jungs und nagellackigen Mädels identifizieren können.

Kategorie: Migrationsliteratur. Coming of Age
Verlag: Claassen, 2023

Kommentare

Emswashed kommentierte am 08. Oktober 2023 um 10:26

Ui, das hätte ich jetzt nicht erwartet. Aber nachvollziehbar.