Rezension

Jede Menge Neuanfänge

Die Stimmlosen - Melanie Metzenthin

Die Stimmlosen
von Melanie Metzenthin

Bewertet mit 5 Sternen

Eine ihrer besten - wenn nicht DIE beste Geschichte, die Melanie Metzenthin geschrieben hat. Voller Leben, Hoffnung, Freundschaft und so enorm vielen Emotionen! Must read!

Das Buch:

Es handelt sich bei diesem Buch um den quasi 3. Teil der Reihe Leise Helden. Quasi deshalb, weil er als 2. Band erschien, zeitlich betrachtet aber als 3. in die Reihe gehört. Das Buch kann zwar unabhängig von den anderen beiden Bänden gelesen werden, macht jedoch deutlich mehr Freude, wenn man zumindest den Vorgänger “Im Lautlosen” kennt.

Der zeitliche Rahmen umfasst die Jahre 1945 bis 1953 - eine Zeit, die geprägt war von Neuanfängen. 

Worum geht’s?

Hamburg 1945 - der Krieg ist vorbei, die Stadt ist nur noch ein Trümmerhaufen und von den Briten besetzt, die Menschen hungern und haben kein Dach über dem Kopf. Hamburg ist ein trostloser Ort, an dem jeder nur noch ums Überleben kämpft. Vor dieser Kulisse treten Fritz Ellerweg, Richard und Paula Hellmer und der Brite Arthur Grifford den Weg in eine neue, ihre Zukunft an. Dabei wird ihnen weiß Gott nichts geschenkt, aber niemals verlieren sie ihren Mut und ihre Lebenslust. 

Charaktere:

Wenn es eine Figur in einem Roman gibt, in die ich mich verknallen würde, dann wäre das wohl Fritz Ellerweg. Neben Richard und Paula Hellmer und Arthur Grifford ist er die zentrale Figur dieser Geschichte. 

Fritz ist Chirurg. Nicht irgendein Chirurg, sondern ein richtig guter, der an der Front lernte unter den widrigsten Umständen Höchstleistungen zu erbringen, der es gelernt hat, mit den wenigen Dingen, die ihm zur Verfügung stehen, lebensrettende Maßnahmen zu erschaffen und der sich nicht zu fein ist um Hilfe zu bitten. Man könnte meinen, er sei ein Held! Ist er wohl auch, aber das ist es nicht, worauf die Autorin abhebt. Vielmehr zeigt sie den Menschen Fritz Ellerweg. Fritz hat Humor und brachte mich mit seiner Art, Dinge zu beschreiben und auf den Punkt zu bringen, immer wieder zum Lachen. Das Leben in Hamburg in der Nachkriegszeit ist alles andere als leicht, aber Fritz nimmt das Leben einfach nicht so ernst, sondern eben so, wie es kommt. Aus jeder Situation zieht er das Beste heraus - auch wenn es schwer ist. Um sein und das Überleben seiner Freunde zu sichern, übertritt er auch legale Grenzen, aber niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ihn dafür zu verurteilen. Im Gegenteil ich bewunderte seinen Mut - immerhin hätte das auch nach hinten losgehen können. 

Sein bester Freund Richard und dessen Frau Paula sind die Personen, die ihm nicht erst seit dem Krieg am nächsten stehen. Alle 3 haben während des Krieges fürchterliche Verluste hinnehmen müssen, aber trotzdem geben sie nicht auf. Nie! 

Neben Fritz wirkt Richard sehr ruhig und bedacht. Dabei ist er jedoch nicht weniger mutig als Fritz und auch Richard beweist immer wieder, dass er Humor hat. Zusammen sind die beiden beinahe unschlagbar. Es gibt einige Szenen, in denen die Autorin die Unbeschwertheit des Lebens wieder auferstehen lässt, obwohl in dieser Zeit nichts unbeschwert ist, wenn man es genau bedenkt. Ich habe zeitweise herzlich gelacht, wenn ich mir das bildlich vorstellte. 

Gleichwohl hat mich Melanie Metzenthin aber auch wieder einmal gelehrt, dass es gut sein kann, genügend Taschentücher parat zu haben. Denn so herrlich diese beinahe friedlichen Szenen waren, so tief treffen den Leser auch die weniger schönen Szenen, wenn den Protagonisten Leid geschieht, wenn ihnen Unrecht widerfährt - und das passiert nicht nur einmal. 

Der Krieg hat alle Protagonisten gezeichnet und so versucht Richard mit der Vergangenheit aufzuräumen und seinem Erzfeind endlich zu seiner gerechten Strafe zu verhelfen. Hierbei ist ihm die Aufmerksamkeit des Lesers absolut sicher. Die Gerichtsverhandlungen sind so authentisch und bildlich. Ob er es schafft, müsst ihr selbst lesen! 

Der dritte Charakter, der mich sehr beeindruckt hat, ist Arthur Grifford. Am Anfang noch recht unscheinbar entwickelt er sich zu einem so liebenswerten Kerl, der seine eigenen Probleme hat, die durch den Krieg entstanden sind. Mit ihm zeigt die Autorin die andere Seite, denn immerhin ist Arthur Brite und damit eigentlich der Feind. Dass dies aber keineswegs so sein muss, beweist Melanie Metzenthin eindrucksvoll. Und sie tritt ebenfalls den Beweis an, dass Freundschaft über jedwede Nationalität erhaben ist. Mir lief öfter mal eine Gänsehaut über den Rücken, wenn eben diese Nationalitäten zum Stolperstein zu werden drohten. 

Alle Figuren in diesem Roman sprühen vor Leben, selbst kleinere Figuren am Rand bleiben nicht grau. Die Charaktere sind so verschieden und haben doch alle dasselbe Ziel - nämlich aus diesem Dilemma des Krieges zu einem würdigen Leben zurückzufinden. Die Autorin schenkt jedem Protagonisten seinen Raum und jeder Leser wird mit Sicherheit die eine oder die andere Figur mehr mögen als die anderen. Aber erst ihr Ensemble macht die Geschichte so rund.

Schreibstil:

Ich habe inzwischen einiges von Melanie Metzenthin gelesen und ich lese ihre Geschichten wirklich gerne. Ihr Schreibstil ist so herrlich gerade heraus. Es gibt keine komplizierten Schnörkel. Die Geschichte bewegt sich immer vorwärts und es wird nie langweilig. Die Autorin schreibt so, wie das Leben eben ist. Niemals geradlinig, aber immer voran. Niemals ohne Kanten, niemals ohne Probleme, aber nach jedem Regen scheint wieder die Sonne. Gerade das macht es wohl aus, dass ihre Geschichte so lebendig und authentisch wirkt. 

Melanie Metzenthin bewegt sich diesmal wieder im “Ärztemilieu”. Immerhin sind alle Protagonisten Ärzte. Allerdings versucht sie keineswegs zu erklären, wie Fritz operiert, sondern vielmehr zeigt sie die Umstände unter denen er das tut und unter welchen Umständen Richard und Paula in ihrer Hausarztpraxis zu dieser Zeit ihre Patienten behandeln müssen. Sie erklärt, was erklärt werden muss, nicht mehr! Das gefällt mir ausgesprochen gut, denn so bleibt das Krankenhaus- und Praxisleben für den Leser nachvollziehbar. 

Beeindruckend ist auch ihre Beschreibung des zerstörten Hamburg. Sie schafft es über die gesamte Länge des Romans die trübe Stimmung im zerstörten Hamburg latent hoch zu halten. Sie schiebt sie nicht in den Vordergrund, aber während man die Geschichte liest, fühlt man sie. Die Autorin lebt in Hamburg und hat über ihre Stadt intensiv recherchiert. Das merkt man in diesem Roman sehr deutlich, wenn sie Vergleiche zieht, wie Straßenzüge z.B. vor und nach dem Krieg aussahen. Auf diese Art und Weise wird der Roman nicht nur zu einer Geschichte über fiktive Figuren, sondern auch ein Zeugnis einer vergangenen Zeit. Geschichtsunterricht, wie er sein sollte!

Fazit: Großartig! Ein echter Pageturner, der viel zu schnell zu Ende ist, wenn man erst einmal begonnen hat. 5 von 5 Sternen.