Rezension

Kinderlos glücklich, ohne egoistisch, feige oder narzistisch zu sein

Die Uhr, die nicht tickt - Sarah Diehl

Die Uhr, die nicht tickt
von Sarah Diehl

Bewertet mit 4 Sternen

Zum Inhalt

„Eine Frau, die keine Kinder will, ist egoistisch und feige. Ihr Leben lang wird sie unter dieser falschen Entscheidung leiden, wird sie furchtbar bereuen.“ Solchen und ähnlichen Argumenten sind Frauen ohne Kinderwunsch tagtäglich ausgesetzt. Denn in unserer Gesellschaft ist es kaum vorstellbar, dass es Frauen gibt, die freiwillig auf das Muttersein verzichten, keinen Kinderwunsch in sich tragen.
 
Die Publizistin und Filmemacherin Sarah Diehl, Mitte 30 und selbst kinderlos, hat sich mit der Thematik der gewollten Kinderlosigkeit intensiv auseinander gesetzt und hierfür zahlreiche betroffene Frauen interviewt. Sie räumt mit vielen Vorurteilen auf und möchte mit ihrem Werk eine Brücke zwischen Müttern und Nicht-Müttern schlagen sowie aufzeigen, dass ein mangelnder Kinderwunsch ganz sicher nichts mit Egoismus, Narzissmus oder Feigheit zu tun hat.

Meine Meinung

Als ich von diesem Buch zum 1. Mal gehört habe, dachte ich mir, das kommt wie gerufen! Ich bin selbst in einem Alter, in dem man sich Gedanken übers Kinderkriegen macht. Auch bei mir ist bislang kein Kinderwunsch vorhanden, und ich stoße ebenfalls bei Familie und Bekannten diesbezüglich auf Unverständnis, muss mich unsinnigen Diskussionen à la „Das wirst du bitter bereuen!“ stellen und die vorwurfsvollen Blicke der potentiellen (Nicht-)Großeltern ertragen. Endlich gibt es also ein Buch, das mir aufzeigt, dass ich nicht abnormal bin, weil ich meiner „Pflicht“ als Frau nicht nachkommen möchte. Das mir das ungute Gefühl nehmen möchte, mich für etwa zu rechtfertigen, für das ich mich eigentlich nicht rechtfertigen muss.
 
Sarah Diehl hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wieso Frauen keine Kinder haben möchten und wie die Reaktion der Gesellschaft darauf ist. Sie hat zu dem Thema zahlreiche Fakten und Argumente aufgearbeitet, die ergänzt werden durch Interviewausschnitte mit kinderlosen Frauen. Oft musste ich bei der Lektüre zustimmend nicken, konnte ich doch eigene Empfindungen und Erlebnisse darin wiederfinden.
 
Die Autorin spricht auch unbequeme Wahrheiten aus. Sind wir mal ehrlich: Die Gesellschaft schreit doch nicht laut nach Kindern, weil sie so süß und herzig sind, sondern weil wir wieder mehr Einzahler in die Rentenkasse brauchen, weil wir uns nicht ständig Fachkräfte aus dem Ausland importieren wollen. Es sollen ja auch nicht wahllos Kinder in die Welt gesetzt werden, es soll sich bitteschön auch die richtige Gesellschaftsschicht vermehren...
 
Dennoch ist dieses Buch kein Plädoyer gegen Kinder, denn Frauen ohne Kinderwunsch sind oft mitnichten kinderfeindlich. Auch das Muttersein in Deutschland, das gängige Familienmodell, die Erfüllung der Mutterrolle und der Spagat zwischen Kind und Karriere werden hier kritisch durchleuchtet. Sarah Diehl prangert Missstände in unserer Sozialgesellschaft an, die letztendlich ebenfalls dazu führen (können), dass sich immer mehr Frauen gegen Kinder entscheiden.
 
Abschließend stellt die Autorin deshalb auch mögliche bzw. bereits existierende Alternativmodelle vor, die vielleicht dazu führen könnten, dass für Frauen in Deutschland das Muttersein wieder etwas attraktiver gemacht wird. Hier sind viele anregende und interessante Ansätze vorhanden, die wohl aber nicht so schnell Anklang in der Gesellschaft finden werden.
 
Ein paar Kritikpunkte habe ich aber doch:
 
Mir hätte es sehr gefallen, mehr Interviews zu lesen und mehr über die Frauen zu erfahren. Man hat doch meist nur knappe Randinformationen erhalten wie Name, Alter und Beruf. Auch die Interviewsequenzen waren immer recht kurz. Hier hätte ich mehr Meinung als Fakten schön gefunden, da es das Buch doch etwas emotionaler und weniger trocken gemacht hätte.
 
Darüber hinaus hatte ich nach der Lektüre des Buches doch das Gefühl, dass das Kinderhaben und Muttersein hier sehr negativ dargestellt wird. Klar, es geht um gewollte Kinderlosigkeit, da dürfen und müssen Argumente gebracht werden, die gegen das Muttersein eingesetzt werden. Aber auch wenn mir diese Einstellung ja sogar in die Hände spielt – es gibt sicherlich Frauen, die mit Leib und Seele Mütter sind, ohne das Gefühl zu haben, dafür etwas geopfert zu haben. Oder die den Spagat zwischen Kind und Karriere sehr gut meistern, denn ich glaube nicht, dass die Gesellschaft wirklich ausnahmslos jeder Mutter Knüppel zwischen die Beine wirft. Auch wenn in Deutschland die Situation für arbeitende Mütter nicht leicht ist, fand ich sie doch einen Ticken zu negativ skizziert. Aber das ist sehr subjektiv, und andere Leser mögen es nicht so empfunden haben.
 
Sarah Diehl ist Geisteswissenschaftlerin, und das merkt man ihrem Schreibstil auch an, der mich stellenweise an eine akademische Facharbeit erinnerte. Was generell nichts Schlechtes ist. Ich weiß halt nur nicht, ob dieser Sprachstil für jedermann leicht zugänglich ist. Aber auch das ist wieder mein persönliches Empfinden.
 
Ich bin Frau Diehl dankbar, dass sie sich diesem für manche Frauen sehr wichtigen Thema angenommen hat, dass sie unbequeme Wahrheiten ausspricht, stumpfsinnige Argumente beiseite wischt und Frauen wieder mehr Selbstbewusstsein geben möchte. Ich lege „Die Uhr, die nicht tickt“ allen Frauen ans Herz, die keinen Kinderwunsch haben oder noch am Überlegen sind; ich empfehle es aber auch allgemein allen, die offen sind für andere Lebenskonzepte und sich mit dem gängigen Familienmodell in Deutschland kritisch auseinandersetzen möchten.