Rezension

Mitreißend, emotional und vielschichtig - jedoch nicht mit der erhofften Objektivität

Scheidung -

Scheidung
von Moa Herngren

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ich finde die Idee, einen Scheidungsprozess aus beiden Perspektiven heraus zu betrachten, wirklich spannend und so liest sich "Scheidung" auch. Es hinterfragt kontinuierlich das eigene Urteil und lässt viel Raum für Ambivalenz. Dennoch hätte ich mir insgesamt noch mehr Objektivität gewünscht.

In diesem Roman wird zuerst Bea, dann Niklas begleitet. Beide haben unterschiedliche Gefühle zur Scheidung, die von Niklas nach 32 Jahren scheinbar urplötzlich eingeleitet wird. Während im ersten Abschnitt Beas Schock und Unverständnis greifbar sind, setzt sich das Gesamtbild im zweiten Abschnitt mit Niklas' Eindrücken zusammen. Im letzten Abschnitt laufen beide Perspektiven dann direkt nebeneinander, was dem Roman enorm viel Tempo gibt. Die Situation spitzt sich gegen Ende hin auch zu und wird um verschiedene zusätzliche Dramen innerhalb der Familie verstärkt.

Wirklich sehr gut gefallen haben mir die beiden Sichtweisen! Ich mag es, dass meine selbst gefällten Urteile immer wieder herausgefordert und neu geformt wurden. Emotional war der Roman äußerst vielschichtig und die Figuren mit ihren Hintergrundgeschichten interessant. Das Setting in Schweden fand ich als völlig Unkundige zu Beginn schwierig, weil so viele Orte eine Rolle gespielt haben, die ich nicht kannte. Das werte ich aber nicht als expliziten Kritikpunkt.

Was ich hingegen deutlich kritisiere, ist die ingesamt dann doch mangelnde Objektivität der Autorin. Gewünscht hätte ich mir, dass ich mit Niklas und Bea mitfühlen, sie aber auch gleichermaßen kritisieren kann. Herausgekommen ist meiner Meinung nach aber vielmehr ein subtiles, aber doch recht deutliches Framing von Bea als die egoistische, bevormundende Böse und Niklas als den bemitleidenswerten unterdrückten Ehemann. Während ich in Beas Abschnitt noch extrem mit ihr mitgefühlt habe, kippte das direkt in Niklas' Abschnitt. Er wirkte viel nachvollziehbarer und Beas Handlungen meistens völlig drüber. Dass Niklas aber schlichtweg nicht weiß, was er will und entsprechend quasi gar nicht kommuniziert, geht dabei fast unter. Während Niklas' Überforderung ob Lohnarbeit und finanziellem Druck nachvollziehbar geschrieben sind, wirken Beas Wünsche nach einem schönen Zuhause und familiären Miteinander irgendwie übertrieben. Mir wurde zudem eine andere weibliche Figur zu sehr als die bessere Variante von Bea geschrieben, so sehr ich die Figur menschlich auch mochte.

Besonders gegen Ende bekommt der Text für mich fast Mobbing-Dynamiken, die mich emotional extrem aufgewühlt haben. Ich konnte im letzten Abschnitt so einige Reaktionen, vor allem von der Schwiegerfamilie Bea gegenüber, nicht nachvollziehen und auch das Ende kam mir zu plötzlich und gewollt versöhnlich. Ein anderer Schluss wäre zwar unfassbar schlimm, aber vom Handlungsverlauf schlüssiger gewesen.

Ich fand den Roman trotzdem wirklich gut und hätte 4 Sterne gegeben, weil er sich gut lesen lässt und die Geschichte mitreißend ist. Aber für diese doch deutlich spürbare Gut-Böse-Dichotomie ziehe ich noch einmal einen halben Stern ab und gebe 3,5 Sterne.