Rezension

Nackenschild und Hörner

Triceratops - Stephan Roiss

Triceratops
von Stephan Roiss

"Wir spielten am liebsten mit dem Dinosaurier mit dem Nackenschild und den Hörnern. Er aß nur Pflanzen, aber war unbesiegbar. Er war kompakt, schwer gepanzert, ein guter Krieger. Niemand konnte ihn in den Hals beißen, nichts konnte ihn umwerfen. Er stand fest auf der Erde." (S. 62)

Die Eigenschaften eines Dinosauriers wären schon sehr wünschenswert in dieser Familie... Da ist die Mutter, um die sich alles dreht, die mit ihren psychischen Problemen die ganze Familie bestimmt und immer mal wieder in die Klinik verschwindet. Der Vater steht dem Ganzen hilflos gegenüber, er flüchtet sich in seine Arbeit, die Bibel und das Fernsehprogramm. Die Schwester ist so wenig wie möglich zu Hause und lebt in einer eigenen Welt. Und dann ist da noch der Junge, der am liebsten Monster, Drachen und Saurier malt. Wenn es seiner Mutter nicht gut geht, ist es seine Aufgabe zu trösten, doch wie soll ein Kind diese Verantwortung tragen? Er isst zu viel und wird fett, er kratzt sich die Haut blutig und spricht von sich als "wir". Eine Atempause gibt es immer, wenn die Mutter in der Klinik ist und der Junge bei der Oma sein darf, die am meisten Verständnis für ihn zeigt. 

Wir begleiten den Jungen durch die Kindheit und Jugend, erleben mit, wie er in der Schule gemobbt wird, wie er Freunde sucht und erste Schritte außerhalb der Familie wagt. Ob ihm die Abnabelung wohl gelingt? Ob er sich ein eigenes stabiles Leben aufbauen kann und fest auf der Erde stehen lernt wie ein Triceratops?

Von dieser dysfunktionalen Familie zu lesen ist bedrückend. Kein Familienmitglied wird mit Namen genannt; Namen haben nur die Außenstehenden. Und als Leser wünsche ich mir so sehr, dass da endlich mal jemand eingreift und hilft! Doch wenn eine Lehrerin das Kind anspricht, zieht es sich zurück und beteuert, alles sei in Ordnung. Die Tante glaubt, es liegt ein Fluch auf der Familie, und nur der Junge sei stark genug, ihm zu entgehen und ihn zu brechen. Das hätte der Autor leicht ausführen können und mit dem Bild des Triceratops mit Nackenschild und Hörnern ein Symbol aufbauen können, das zu einer gefälligen Lösung führt. Dieser Versuchung entgeht er, und so endet das Buch nicht mit einem rosaroten Ausblick, sondern lässt den Leser betroffen zurück. 

Ein starkes Buch. Es steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2020.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 09. Dezember 2020 um 07:49

Eine sehr schöne Rezi, ich habe mich bisher nicht daran versucht - mir fehlten die Worte ;-) Du hast es super auf den Punkt gebracht :-) Ein bedrückendes, aber gutes Buch!