Rezension

(Nur) Kriegseindrücke.

Tyll - Daniel Kehlmann

Tyll
von Daniel Kehlmann

Bewertet mit 4 Sternen

Leider finde ich die entsprechende Hörbuchversion (von audible mit dem Sprecher Ulrich Noethen) hier nicht. // Wenn man den "normalen" historischen Roman nimmt, vor allem die vielen Romänchen, die sich "historisch" schimpfen, dann hat Daniel Kehlmann einen herausragenden, tollen, wunderbaren Roman geschrieben. // In der Kategorie "anspruchsvolle Literatur" sieht es dagegen schon ein wenig anders aus, da fehlt noch ein Quäntchen. Und noch eins. Und noch eins. Man wird sehr gut unterhalten, aber unbedingt lesen muss man "Tyll" nicht.

Der Till Eulenspiegel treibt wieder sein Unwesen, allerdings etwas gemässigt und inkognito, verkleidet als Tyll Uhlenspiegel und auch Jahrhunderte später und keineswegs in Hameln, sondern im ganzen Heiligen Römischen Reich.

Anhand und entlang seines sehr speziellen Protagonisten zeigt der Autor ein Porträt des „Krieges aller Kriege“, des 30jährigen Krieges, der die Lande verwüstete und zwei Drittel seiner Bevölkerung umbrachte! Diverse Kriegsheere dezimieren aufs Brutalste die einfache Bevölkerung und erwischt auch den einen oder anderen Höhergestellten. Was der Krieg nicht erledigt, tut der Hunger, was durchs Verhungern nicht stirbt, erliegt der Pest.

In diesen Tagen ist ein Menschenleben nichts wert. Dennoch behalten die Oberen unbegreiflicherweise ihren Stolz, ihre Arroganz und Überheblichkeit bei und erweisen sich dem Leser als hohle Dummköpfe. Die einfachen Menschen werden vom Aberglauben und von der Inquisition beherrscht und gequält und man muss sehr viel Glück und Geschicklichkeit haben, wenn man sich irgendwie durchlavieren kann. Wo ist da Gott, rufen die Menschen.

Daniel Kehlmann umschifft die ärgste Darstellung einzelner Grausamkeit(en), indem er oft die indirekte Erzählung wählt, wenn einer oder eine seiner Figuren im Rückblick Erinnerungen preisgibt. So ist diese ganze Geschichte nur facettenartig erzählt und ergibt durch diese Facetten dennoch ein Ganzes.

Die historische Einbettung ist zwar klar umgrenzt und hinreichend dargestellt, doch insgesamt sind die politisch-historischen Details und Informationen, die der Autor gibt, spärlich. Das hat seine Vorteile und seine Nachteile! Der Autor muss sich nicht auf die politische Ebene begeben, will er doch die Geschichte(n) der einfachen Leute erzählen. Sie stehen im Brennpunkt.

Andererseits will der Leser wissen, was genau los ist, wenn er ein Buch über den 30jährigen Krieg liest. Doch die Informationsebene bleibt dürftig.

Dem Volk gings schlecht wegen zahlreicher, uns undenkbar erscheinender Übergriffe. Recht und Gesetz wollte und konnte jeder biegen, wie es ihm gefiel und es war Hochkonjunktur für jeden, der Freude an Grausamkeit und Brutalität hatte, wenn er seine Neigungen nur in das richtige Gewand kleidete. An der Welt interessierte neugierige Geister, die heute nobelpreisverdächtig wären, durften nicht auffallen, wenn sie der Unterschicht angehörten. Widerspruch war tödlich und das Leben sowie so nur durch den Zufall geprägt.

Ulrich Noethen hat mich sicher durch das Buch geleitet. Ich bin dankbar dafür, dass Hörbücher nicht mehr so oft gekürzt werden. Für mich war die Darstellung und Interpretation des Sprechers jedoch trotz aller Hörspielkunst durchaus schon zu übertrieben, ich habs gerne etwas gemässigter. Doch das ist absolute Geschmacksache.

Der Eindruck vom 30jährigen Krieg ist gewaltig. Es kommt dem Autor darauf an, dem Leser zu zeigen, wie die Verhältnisse waren. Das gelingt ihm. Dafür vernachlässigt er gerne die Informationsebene.

Der Autor beweist sowohl Kennntnis wie Phantasie in den erzählerischen Details. Die Figur des Narrs ist phänomenal. Nur die Handlung führt ins Leere. Ich habe den Eindruck nach der Lektüre, ich stünde mit leeren Händen da: wie Tyll.

Fazit: Hohe Erzählkunst. Doch die Thematik des 30jährigen Krieges wird mir ein wenig zu willkürlich behandelt. Der Schluss überzeugt mich gar nicht.

Kategorie: Gute Unterhaltung. Historischer Roman.
Verlag: Audible, 2017

Kommentare

Emswashed kommentierte am 17. August 2018 um 21:35

Wenn de Fakten willst, kiek ins Jeschichtsbuch! ;-)

wandagreen kommentierte am 18. August 2018 um 07:52

Man kann das kombinieren, Ems. Ich lese jetzt "Der Krieg der Kriege" von Johannes Burkstedt.