Rezension

Orangen aus Jaffa

Jaffa Road -

Jaffa Road
von Daniel Speck

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ich stehe in der Obst- und Gemüseabteilung meines Um-die-Ecke-Supermarktes und schaue enttäuscht auf die Orangen in der Auslage. Sie hängen ein wenig traurig in ihren roten Netzen rum und kommen leider nicht wie gehofft aus Jaffa. Vielleicht sollte ich doch allmählich beginnen auf dem Wochenmarkt einzukaufen statt beim Discounter. Das begeistert mich am Lesen. Einmal eingetaucht in eine Geschichte, nimmt man seine Umgebung plötzlich mit anderen Augen wahr und denkt darüber nach, aus welchen Ecken dieser Welt eigentlich die Orangen kommen und welche Geschichte sie mit sich tragen könnten. Daniel Speck erzählt in seinem Roman „Jaffa Road“ natürlich nicht vornehmlich über Orangen. Doch für Amal und ihre Familie sind sie der Inbegriff der Heimat und schließen den Verlust derselben schmerzlich mit ein. Die Entwurzelung ist wohl das Kernthema in Specks Roman. Aber auch das Suchen nach einem eigenen Platz in der Welt, nach eigener Identität und Freiheit. Doch wie viel ist die eigene Freiheit wert, wenn sie nur auf Kosten anderer gewährt werden kann?

Im italienischen Palermo der Gegenwart treffen sich in einer Villa am Meer drei Menschen und die einzige Person, die sie miteinander verbindet, hat sich das Leben genommen. Joëlle, die Israelitin, Elias, der Palästinenser und Nina, die Deutsche. Verbunden durch scheinbare Familienbande, getrennt durch scheinbar unüberbrückbare Differenzen und einen Sack voller Geheimnisse, müssen sie sich nun einander stellen, um die Fehlstellen ihrer Vergangenheit zu füllen. Jeder von ihnen trägt Puzzleteile in sich, die nur vollständig zusammen gesetzt ein ganzes Bild von Moritz Reincke ergeben - dem verschwundenen, geliebten Vater und unbekannten Großvater.

Beeindruckend erzählt Daniel Speck vom komplexen, gefühlt unüberschaubaren Nahostkonflikt, der mit der Ausrufung des Staates Israel 1948 und der gewaltsamen Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat beginnt und bis heute als internationaler Konflikt in der Region andauert. Am beispielhaften Schicksal zweier Familien beleuchtet er die israelische und die palästinensische Seite und zeigt, wie getroffene Entscheidungen zum Wohl der einen, das Leid der anderen unweigerlich nach sich ziehen - mit unvorhersehbaren, fatalen Konsequenzen für alle nachfolgenden Generationen bis heute. Specks Geschichte ist aufwühlend, mitreißend und oft schwer auszuhalten. Doch ich bin ihm dankbar, dass er sich diesem schwierigen Thema angenommen hat. Dieser Konflikt hat letztlich auch mit unserer deutschen Geschichte zu tun und an der ambivalenten Figur des verlorenen, nach dem richtigen Weg suchenden Moritz Reincke wird dies überdeutlich.