Rezension

Origineller und unterhaltsamer Krimi mit schwarzem Humor – für Zartbesaitete nur bedingt geeignet

Achtsam morden - Karsten Dusse

Achtsam morden
von Karsten Dusse

~ In „Achtsam morden“ hat Karsten Dusse auf originelle Weise Achtsamkeit mit einer Krimihandlung verbunden und daraus einen skurrilen, kurzweiligen, unterhaltsamen und gleichzeitig auch auf seltsame Weise entschleunigenden und entspannenden Roman geschaffen. Der Einstieg gelang problemlos und den schnörkellosen, unaufgeregten Schreibstil fand ich sehr angenehm. Die Achtsamkeitstipps am Beginn jedes Kapitels waren sehr interessant und lehrreich. Um erstmals vorsichtig mit dem Thema in Berührung zu kommen, ist das Buch perfekt geeignet. Auch den schwarzen, teilweise makabren, bissigen und zynischen Humor mochte ich sehr. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das Buch für Zartbesaitete und empathische Menschen nur bedingt geeignet ist. Teilweise haben mir Björns Opfer echt leidgetan. Klassische Themen wie Familie, Ehekrisen und Berufsstress stehen im Mittelpunkt – Karsten Dusse behandelt sie mit angemessener Tiefe. Trotz allem habe ich nach den positiven Rezensionen erwartet, dass mich der Krimi noch etwas mehr begeistert und dass der Humor noch ein bisschen mehr meinen trifft. Jeder Gag hat nämlich nicht gezündet. Obwohl ich mir an manchen Stellen vielleicht noch etwas mehr Tempo und Spannung gewünscht hätte, bin ich mit dem wendungsreichen und unvorhersehbaren Buch sehr zufrieden. Punkteabzug gibt es leider bei den Figuren. Ich mochte zwar den Humor des Protagonisten, seine Intelligenz und seine abgöttische Liebe zu seiner kleinen Tochter. Allerdings ist der Anwalt teilweise auch sehr arrogant und egoistisch, schikaniert Untergebene und lässt alle spüren, dass er sich für etwas Besseres hält. Dadurch war er mir teilweise sehr unsympathisch. Den Nebenfiguren stehe ich zwiespältig gegenüber. Manche von ihnen empfand ich als sehr gelungen, andere blieben leider blass. Eine Sache hat mich sehr gestört: Der manchmal latente, manchmal auch offene Sexismus, der im ganzen Buch mitschwingt. Das Geschlechterverhältnis ist sehr unausgeglichen. So gut wie alle (der ohnehin wenigen) Frauenfiguren kommen sehr schlecht weg und wirken eindimensional, unsympathisch und fast wie Karikaturen. Für die Kinderbetreuung sind in diesem Buch eindeutig die Frauen zuständig (der Anwalt selbst ist die einzige Ausnahme), es gibt sexistische Kommentare und Beleidigungen gegenüber Frauen, und im Berufsleben gibt es nur vereinzelt Frauen, die auch noch alle inkompetent sind. Außerdem ist das Buch meilenweit davon entfernt, den Bechdel-Test zu bestehen. Das geht wirklich besser! Für die Fortsetzung wünsche ich mir, dass der Autor „achtsamer“ mit Sexismus, Geschlechterstereotypen und der Repräsentation von Frauen umgeht – dann gibt es auch die fünfte Lilie. Eine Leseempfehlung gibt es schon jetzt. ~

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, verstaubte, alte Kanzleimatratze

Inhalt

Fühlt ihr euch auch manchmal gestresst und erschöpft von den täglichen Anforderungen eures Lebens? Dann könnte eine achtsame Lebensumstellung etwas für euch sein! Diese macht der Protagonist von "Achtsam morden", der Anwalt eines Schwerkriminellen, gerade erfolgreich durch, um seine kriselnde Ehe zu retten. Als sein Mandant es irgendwann​ übertreibt und die gemeinsame Zeit mit seiner Tochter auf dem Spiel steht, bringt Björn Dragan einfach um - dabei befolgt er aber vorbildlich die neu erlernten Regeln der Achtsamkeit.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 der Reihe um Björn Diemel, die Fortsetzung „Das Kind in mir will achtsam morden“ erscheint im Mai 2020
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum

Perspektive: männliche Perspektive

Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Fleisch wird jedoch gegessen.

Warum dieses Buch?

„Kann das funktionieren?“, fragte ich mich vor der Lektüre. Ich fand die Verbindung von Achtsamkeitskonzept und Krimi jedenfalls so ungewöhnlich und spannend, dass ich diesen Roman unbedingt lesen wollte. Die begeisterten LeserInnenstimmen fachten meine Neugierde nur weiter an.

Meine Meinung

Einstieg (5 Sterne ♥)

"Eins vorweg: Ich bin kein gewalttätiger Mensch. [...] Und den ersten Menschen habe ich auch erst mit 42 Jahren umgebracht." Seite 9

Ich habe sofort in die Geschichte gefunden und empfand den Einstieg als sehr problemlos, entspannt und „locker-flockig“.

Schreibstil (4 Lilien)

Auch Karsten Dusses Schreibstil konnte mich überzeugen. Er schreibt weder poetisch noch enthält sein Text viele Metaphern, dafür ist die schnörkellose, unaufgeregte und sehr flüssig und angenehm lesbare Sprache mit dem oft satirischen Unterton für einen kurzweiligen Krimi, der in erster Linie unterhalten soll, perfekt geeignet.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„Achtsamkeit ist die wertungsfreie und liebevolle Wahrnehmung des Augenblicks.“ Seite 10

Was mir am besten an dieser Mischung aus Krimi und Roman gefällt, ist die originelle, erfrischende Idee, die Karsten Dusse hatte. Vor der Lektüre habe ich mich gefragt, ob diese ungewöhnliche Verbindung von Achtsamkeit und Krimihandlung funktionieren kann. Jetzt kenne ich die Antwort: Ja, und wie! Ich fand es sehr amüsant und gleichzeitig skurril, wie der Protagonist nach und nach sein Leben umstellt und sich dabei immer weiter in Schwierigkeiten bringt – denen er jedoch ganz gelassen begegnet. Während andere in der gleichen Situation vermutlich Beruhigungsmittel eingeworfen hätten, wird der Ratgeber seines Achtsamkeitsmentors zu Björns neuer Bibel. Ich empfand die Achtsamkeitstipps am Beginn jedes Kapitels als sehr interessant und lehrreich, vor allem da immer mehr Studien die positiven Auswirkungen dieser besonderen Art der Meditation belegen. Um mal vorsichtig in das Thema hinein zu schnuppern, ist das Buch perfekt geeignet. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass viele LeserInnen sich nach der Lektüre eingehender mit dem Konzept beschäftigen werden.

Auch den schwarzen, teilweise makabren, bissigen und zynischen Humor mochte ich sehr. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das Buch für Zartbesaitete und empathische Menschen nur bedingt geeignet ist. Manchmal haben mir Björns Opfer echt leidgetan und die Folter- oder Mordszenen waren nicht immer leicht zu verdauen. Nicht so gut gefallen hat mir auch, wie Björn sich über Bewegungen, die die Welt tatsächlich ein Stückchen besser machen können (wie z. B. Veganismus) lustig macht.

Im Roman stehen klassische Themen wie Familie, Ehekrisen, moralische Fragen, Erfolg, Berufsstress, aber auch Entspannung im Mittelpunkt – Karsten Dusse behandelt sie mit angemessener Tiefe und hat einen kurzweiligen, unterhaltsamen und gleichzeitig auch auf seltsame Weise entschleunigenden und entspannenden Krimi geschaffen, der sich sehr schnell lesen lässt und großartig endet. Ich habe das Buch mit einem zufriedenen Schmunzeln beendet. Trotz allem habe ich mir nach den positiven Rezensionen doch erwartet, dass mich der Krimi noch etwas mehr begeistert und dass der Humor noch ein bisschen mehr meinen trifft. Jeder Gag hat nämlich nicht gezündet.

„Was mich bis heute an meinem ersten Mord so mit Freude erfüllt, ist der Umstand, dass ich dabei so wertungsfrei und liebevoll den Moment genießen konnte.“ Seite 24

Protagonist (3,5 Sterne) & Figuren (3 Lilien)

Punkteabzug gibt es leider bei den Figuren. Ich mochte zwar den Humor des Protagonisten, seine Intelligenz und seine abgöttische Liebe zu seiner kleinen Tochter und fand es sehr unterhaltsam, ihn durch die Geschichte zu begleiten. Allerdings ist der Anwalt teilweise auch sehr arrogant und egoistisch, schikaniert Untergebene und lässt alle spüren, dass er sich aufgrund seines Studiums, seiner Intelligenz und seines Erfolges für etwas Besseres hält. Sicher ist das Teil der Satire und wohl zu einem Teil gewollt und authentisch (immerhin arbeitet der Autor selbst in der Branche). Leider war mir der Herr Anwalt dadurch trotzdem teilweise sehr unsympathisch und ich wurde meine Hassliebe zu ihm bis zum Schluss nicht los. Irritiert hat mich auch, dass er in kein soziales Gefüge eingebettet ist – er scheint keine Freunde zu haben und auch über seine Familie (außer Frau und Kind) erfährt man nichts.

Den Nebenfiguren stehe ich zwiespältig gegenüber. Manche von ihnen empfand ich als sehr gelungen, andere blieben leider blass. Besonders gern mochte ich natürlich die Meisterphilosophin und kleine, süße Tochter des Protagonisten: Emily. Eine Sache hat mich sehr gestört, die auch schon von „SternchenBlau“ kritisiert wurde: So gut wie alle (der ohnehin wenigen) Frauenfiguren kommen sehr schlecht weg und wirken eindimensional und fast wie Karikaturen. So gibt es beispielsweise die frustrierte, kinderlose ältere Sekretärin, die streitsüchtige, undankbare, ständig Druck ausübende, gefühlskalte Ehefrau und die unfähige, reiche Referendarin, die nur aufgrund ihrer Abstammung einen Platz in der Kanzlei erhalten hat.

Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)

Obwohl ich mir an manchen Stellen vielleicht noch etwas mehr Tempo und Spannung gewünscht hätte, bin ich mit dem wendungsreichen und unvorhersehbaren Buch insgesamt sehr zufrieden. Es wurde nie langweilig, denn je mehr Björn das Wasser bis zum Hals stand, desto neugieriger war ich, wie er die aufkommenden Probleme mithilfe seiner achtsamen Lebensphilosophie lösen würde.

Feministischer Blickwinkel (1 Lilie)

Zuerst möchte ich erwähnen, was mir gefallen hat: Ich fand es gut, dass Björn sich an einer Stelle kritisch über die gläserne Decke und mangelnde Gleichberechtigung in der Kanzlei äußert. Außerdem fand ich schön, dass er sich mehr und mehr zu einem tollen Vater entwickelt, der sich liebevoll um seine Tochter kümmert und die Zeit mit ihr sehr genießt.

Nicht gefallen hat mir der teilweise latente, teilweise offene Sexismus, der im ganzen Buch mitschwingt. Björn kommentiert auf sexistische Weise die Kinderlosigkeit seiner Sekretärin, und überhaupt scheint es in der Welt des Autor noch sehr traditionell zuzugehen: Am Spielplatz kümmern sich nur Tagesmütter, Mütter und Großmütter um ihre Kinder (Björn wirkt durch die mangelnde Sichtbarkeit anderer Väter wie eine absolute Ausnahme), die Frauen bleiben bei ihren Kindern zu Hause oder arbeiten Teilzeit, während die Väter die Karriereleiter hochklettern. In der Anwaltskanzlei und bei anderen Unternehmen gibt es keine oder nur einzelne Frauen, die fast ausschließlich inkompetent sind. Auch Björn selbst hat Emily in den ersten Lebensjahren vor seiner achtsamen Lebenseinstellung so gut wie nie gesehen. Das Geschlechterverhältnis der Figuren ist zudem sehr (!) unausgeglichen und die wenigen Frauen, die es gibt, sind unsympathisch und eindimensional und kommen (wie oben schon angesprochen) sehr schlecht weg.

Prostitution, Menschenhandel und Frauenmorde werden niemals kritisiert, sondern oft mit einem Augenzwinkern erwähnt, was problematisch ist. Zudem gibt es eine frauenfeindliche Beleidigung (Schlam++) und der Autor glaubt aus irgendeinem Grund, es wäre okay, eine Sekretärin als „verstaubte, alte Kanzleimatratze“ zu bezeichnen. Außerdem ist das Buch meilenweit davon entfernt, den Bechdel-Test zu bestehen. Das geht wirklich besser! Für die Fortsetzung wünsche ich mir, dass der Autor „achtsamer“ mit Sexismus, der Repräsentation von Frauen und Geschlechterstereotypen umgeht.

Mein Fazit

In „Achtsam morden“ hat Karsten Dusse auf originelle Weise Achtsamkeit mit einer Krimihandlung verbunden und daraus einen skurrilen, kurzweiligen, unterhaltsamen und gleichzeitig auch auf seltsame Weise entschleunigenden und entspannenden Roman geschaffen. Der Einstieg gelang problemlos und den schnörkellosen, unaufgeregten Schreibstil fand ich sehr angenehm. Die Achtsamkeitstipps am Beginn jedes Kapitels waren sehr interessant und lehrreich. Um erstmals vorsichtig mit dem Thema in Berührung zu kommen, ist das Buch perfekt geeignet. Auch den schwarzen, teilweise makabren, bissigen und zynischen Humor mochte ich sehr. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das Buch für Zartbesaitete und empathische Menschen nur bedingt geeignet ist. Teilweise haben mir Björns Opfer echt leidgetan. Klassische Themen wie Familie, Ehekrisen und Berufsstress stehen im Mittelpunkt – Karsten Dusse behandelt sie mit angemessener Tiefe. Trotz allem habe ich nach den positiven Rezensionen erwartet, dass mich der Krimi noch etwas mehr begeistert und dass der Humor noch ein bisschen mehr meinen trifft. Jeder Gag hat nämlich nicht gezündet. Obwohl ich mir an manchen Stellen vielleicht noch etwas mehr Tempo und Spannung gewünscht hätte, bin ich mit dem wendungsreichen und unvorhersehbaren Buch sehr zufrieden. Punkteabzug gibt es leider bei den Figuren. Ich mochte zwar den Humor des Protagonisten, seine Intelligenz und seine abgöttische Liebe zu seiner kleinen Tochter. Allerdings ist der Anwalt teilweise auch sehr arrogant und egoistisch, schikaniert Untergebene und lässt alle spüren, dass er sich für etwas Besseres hält. Dadurch war er mir teilweise sehr unsympathisch. Den Nebenfiguren stehe ich zwiespältig gegenüber. Manche von ihnen empfand ich als sehr gelungen, andere blieben leider blass. Eine Sache hat mich sehr gestört: Der manchmal latente, manchmal auch offene Sexismus, der im ganzen Buch mitschwingt. Das Geschlechterverhältnis ist sehr unausgeglichen. So gut wie alle (der ohnehin wenigen) Frauenfiguren kommen sehr schlecht weg und wirken eindimensional, unsympathisch und fast wie Karikaturen. Für die Kinderbetreuung sind in diesem Buch eindeutig die Frauen zuständig (der Anwalt selbst ist die einzige Ausnahme), es gibt sexistische Kommentare und Beleidigungen gegenüber Frauen, und im Berufsleben gibt es nur vereinzelt Frauen, die auch noch alle inkompetent sind. Außerdem ist das Buch meilenweit davon entfernt, den Bechdel-Test zu bestehen. Das geht wirklich besser! Für die Fortsetzung wünsche ich mir, dass der Autor „achtsamer“ mit Sexismus, Geschlechterstereotypen und der Repräsentation von Frauen umgeht – dann gibt es auch die fünfte Lilie. Eine Leseempfehlung gibt es schon jetzt.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonist: 3,5 Lilien
Nebenfiguren: 3 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 1 Lilie!

Insgesamt:

❀❀❀❀  Lilien

Dieses Buch bekommt von mir knappe 4 Lilien!