Rezension

Satire auf ein gutes Steak, blutig oder well done - aber keinesfalls medium!

Der rote Stier
von Rex Stout

Bewertet mit 4 Sternen

Nero Wolfe ist schon ein ziemlicher Stoffel - eingebildet, ungeduldig und bis zur Unverschämtheit schroff zu seinen Mitmenschen. Ein Angestellter muss schon hart im nehmen sein - oder ähnlich veranlagt -, um sich das jahrelang gefallen zu lassen. Archie Goodwin, der Ich-Erzähler, ist beides. So gesehen sind Wolfe und Goodwin Antihelden - weil sie nichts Heldenhaftes haben und bisweilen sogar ziemlich unsympathisch sind.

Warum macht es trotzdem so viel Spaß, Stouts Krimi zu lesen? Weil Wolfe extrem intelligent ist und hinter die Fassade zu schauen vermag. Er reißt den Halbgescheiten und Bornierten um sich herum die Maske vom Gesicht - das ist unverschämt und übergriffig, aber auch oft notwendig. Rex Stout hat dem „Der rote Stier“ eine Kriminalsatire auf die amerikanische Wettbewerbsgesellschaft und die Kleintierzüchtermentalität der Provinz geschrieben. Nur dass es hier um große Tiere geht - um Guernseyrinder, um genau zu sein. Ironie darf beißen, Satire muss wehtun, sonst wirkt sie nicht.

Wer deren Namen liest, kann die Züchter und Tierschauen nicht mehr ernst nehmen: Thistleleaf Lucifer, Willowdale Zodiac, Hawleys Orinocco, Hickory Buckingham Pell oder Hickory Caesar Grindon. Eben jener Caesar ist die Hauptfigur des Romans: Er ist Opfer und Töter zugleich. Als Zuchtstier mit dem höchsten je erzielten Preis soll er für Werbezwecke eines Fastfood-Restaurantbesitzers gerillt werden - ein Sakrileg! Caesar aber hat selbst Dreck am Stecken (oder Blut an den Hörners): er soll Clyde Osgood aufgespießt haben.

Nero Wolfe ermittelt, um die Unschuld eines Steaks zu ermitteln - auch hier zeigt sich die satirische Grundkonstruktion des Krimis, der nur scheinbar viele Winkelwege geht, denn eigentlich ist die Auflösung so simpel wie „zwingend“, wenn der alles durchschauende Wolfe endlich mit seiner Sicht herausrückt. Bis es soweit ist, blicken wir durch Goodwins Augen und begleitet von seinem sarkastischen Kommentar auf eine spezielle menschliche Kaste und ihre großen und kleinen Fehler. Ob Goodwin eine Knastbrudergewerkschaft gründet, Rinderzüchter Schnappatmung bekommen, weil ein prämierter Bulle gegrillt werden soll, ob ein Gauner aus New York von Wolfe auseinandergenommen wird oder Wolfe angesichts eines Mannes, der auf sein Mittagessen sprachlos bis auf ein Wort wird (“grotesk!“ S. 238) - immer amüsiert der ironische Unterton, selbst wenn es grob wird. Die gegenübergestellten Gegensätze dienen der ironischen, unterhaltsamen Theatralik: Der fette Wolfe ist schließlich selbst ein Teil der überkandidelten Züchtergemeinde, onduliert und manikürt aber die zartesten Orchideen, die mindestens so alberne Namen tragen wie die Provinzstiere.

„Der rote Stier“ ist wahnsinnig gut gelungen, macht Lust auf sommerliches Grillen und kommt überdies in einem schicken Gewand aus Leinen auf samtweichem Papier daher - ein Treffer!